Austeritätspolitik grandios gescheitert

Die Austeritätspolitik ist grandios gescheitert. Wer das nicht sieht, ist entweder blind oder verblendet. Der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble, ein sturer Verfechter der Austeritätspolitik, hat im vergangenen Jahr behauptet, Europa sei nun auf gutem Weg. Auf gutem Weg? Tatsächlich steht Europa am Abgrund, eine neue Rezession steht vor der Tür, die Arbeitslosigkeit steigt weiter. Wenn sich die Wirtschaftspolitik Europas nicht schleunigst erneuert, sieht es zappenduster aus.

 

Wir brauchen Nachfragepolitik, eine Anregung durch höhere Schulden der Staaten. Ich sage das so provokativ, weil wir endlich begreifen müssen, dass es kein Sparen ohne Schulden gibt und dass Länder wie Deutschland und die Schweiz nicht auf alle Ewigkeit darauf vertrauen können, Schuldner im Ausland zu finden.

Wirtschaftswissenschaftler Heiner Flassbeck auf watson.ch

 

die kehrseite der nicht-mitgliedschaft bei der eu

interessanter kommentar in der heutigen nzz am sonntag. hier ein auszug:

[…] Wenn Firmen die Preise senken, um wenigstens Umsätze zu generieren, sinken die Gewinne. Und wenn die Gewinne sinken, werden die Unternehmen Ende Jahr geringere Lohnerhöhungen gewähren können. Von einer derartigen Entwicklung könnten insbesondere die Wähler der SVP betroffen sein, die im Durchschnitt in den tieferen Lohnsegmenten angesiedelt sind. Doch diese Zusammenhänge verschweigt die Partei geflissentlich. Für sie gibt es nur eine Botschaft: Der Alleingang ist fraglos gut, die EU ist der reine Schlamassel.

Die Brüsseler Gemeinschaft bietet zwar derzeit tatsächlich ein klägliches Bild. Aber statt deswegen in Triumphgefühlen zu schwelgen, müsste die Schweiz sich wünschen, dass die EU rasch wieder Tritt findet und der Euro wieder Halt. Denn dann schwächt sich der Franken endlich ab, was der Schweizer Exportwirtschaft neuen Schub verleihen wird. Und der Schweizer Arbeitnehmer hätte Ende Jahr bestimmt mehr Lohn im Portemonnaie, als wenn der Franken weiter steigt und steigt.

die schweiz wird aufgeteilt

ich dachte immer, für sowas brauche es einen krieg. aber muammar gaddafi wird aktuell scheinbar von ringier dafür bezahlt, dass er sommerlochstopfende stories gleich im dutzend vom stapel lässt. sein neuester coup ist die idee, die schweiz an deren nachbarländer zu verteilen. auch uns bloggern gibt er damit natürlich nahrung, lkm und monsieur fischer äussern sich zum beispiel darüber. gemäss christa markwalder (vizepräsidentin der aussenpolitischen kommission des nationalrates) hat

Libyen [..] den Antrag gestellt, dass an der Uno-Vollversammlung, die am 15. September beginnt, auch das Traktandum diskutiert werden soll, dass das schweizerische Staatsterritorium aufgeteilt und an die Nachbarländer verteilt werden soll.

nicht ganz teilen kann ich die angst markwalders, die schweiz würde aus der geschichte einen imageschaden davontragen. weil die drei grossen sprachregionen ihren sprachlichen «mutterländern» zugeführt werden sollen, wird schon mal über das tessin, die romandie und die deutschschweiz geschrieben. perfekt, um die vorzüge der jeweiligen regionen in den vordergrund zu rücken. etwas enttäuscht bin ich ja von gaddafi, dass er nicht noch eine stadt geteilt haben will. sowas hat spätestens seit berlin eine gewisse tradition. luzern als zentrum hätte man doch zu gleichen teilen den drei sprachregionen zuteilen können. und graubünden? scheinbar ist die existenz der vierten landessprache noch nicht über das mittelmeer vorgedrungen. so wird der südostschweizerische kanton zur neuschweiz, wie das lkm in einem kommentar treffend bezeichnet hat. ich bin sicher, eine solche aufteilung ist auch im sinne von leuten wie unserem geschätzten limi, der gerne die einheit von ethnien und nationen betont.

so oder so kommen spannende zeiten auf die schweiz – oder besser die ehemalige eidgenossenschft der schweiz – zu. etwas mühsam ist natürlich, dass die mehrwertsteuer jetzt innert so kurzer zeit auf über 15% ansteigen wird und dass man, um nach chur zu fahren, den zoll passieren muss. andererseits wird uns der euro im ehemaligen gebiet der deutschschweiz sicher einiges erleichtern. endlich kann ich pakete nach deutschland zum inlandtarif senden. ausserdem haben wir nun nach über hundert erfolglosen jahren endlich die chance, in südafrika fussballweltmeister zu werden. und eine formel-1-rennstrecke haben wir auch. nein, sogar zwei.

ein kleines problem gibt es dann aber doch noch: amade.de und ama.de (das wär cool) sind beide schon besetzt. aber ich werde wahrscheinlich auf amade.ch bleiben und den account via lkm laufen lassen.

verliert die svp einmal mehr?

die verhinderer aus dem rechten lager scheinen einmal mehr den kürzeren zu ziehen. die abstimmung zur erweiterung der personenfreizügigkeit scheint nach ersten hochrechnungen mit zwischen 52 und 56 (oder sogar 59?) prozent ja-stimmen auszugehen. vielleicht sollte die svp ihre ewige kampagne der angst einmal überdenken und zu konstruktiveren mitteln greifen. auf der befürworterseite sollte man allerdings auch aufpassen, sich nicht von der art der kommunikation anstecken zu lassen.

aktuelle ja-stimmen:
ag 55,5%
ar 57,3%
bl 63,3%
gl 49,0%
gr 59,5%
nw 50,3%
ow 52,3%
sg 55,6%
sh 54,3%
so 57,8%
sz 43,4%
tg 56,6%
ur 51,8%
zg 59,2%

update: der kanton luzern nimmt mit 63,3% der stimmen an. danke luzern!
update 2: das mit den 63,3 prozent war offensichtlich falsch, aber 58,0% ist auch anständig.


[grafik: nzz.ch]

the united states of europe

auf nzz.ch findet sich aktuell ein hochinteressantes interview mit romano prodi. der ehemalige eu-kommissions-präsident nimmt stellung zu verschiedenen fragen, die vornehmlich die eu betreffen. so wie ich das lese, will prodi die eu eindeutig als dritten pol (neben den usa und china) positionieren.

romano prodi auf die frage, was eine vision für europa sei:

Sie ist sehr einfach. Wir müssen die Bedingung der Einstimmigkeit bei den Beschlüssen abschaffen. Wir haben keine Alternative zur Bildung der Vereinigten Staaten von Europa. Dazu braucht es wohl noch eine Generation, aber wir haben keine Wahl. Angesichts der Kraft, mit der China auftritt, mit der sich der Multipolarismus der grossen Blöcke herausbildet, können die europäischen Länder nicht allein bleiben. So wie die Einführung des Euro von einigen EU-Ländern beschlossen wurde, so müssen weitere grosse Entscheidungen von einigen Ländern getroffen werden. Das heisst nicht, dass die bestehenden Verträge annulliert werden müssen. Es wird einen Übergangsvertrag geben, der jenen Ländern, welche an der Weiterentwicklung der Union nicht teilnehmen wollen, die bestehenden Vereinbarungen bewahren kann. Wichtig dabei bleibt, dass die Türen Europas weiterhin für alle offenbleiben.

Zu meiner Idee von Europa gehört indessen auch die Nachbarschaftspolitik. Das bedeutet, dass es rund um Europa, im Osten und im Süden, eine Reihe von Ländern gibt, mit denen wir mit der Zeit alles teilen, also Wirtschaft, Handel, Kultur usw., nicht aber die Institutionen, also das Parlament, den Rat und die Kommission. Europa braucht Grenzen, denn wir müssen auch eine Vorstellung davon haben, wo wir Europa schaffen wollen. In einer multipolaren Welt gibt es eine Logik, gemäss der man die Grenzen der anderen nicht «anbeissen» soll. Warum soll die Ukraine nicht gleichzeitig engste Beziehungen mit Europa und engste Beziehungen mit Russland haben? Das Gleiche gilt für Georgien. Früher nannte man dies Pufferzonen, heute nenne ich das «den Ring der Freunde».

habermas über die eu und die schweiz

jürgen habermas dürfte allen, die sich ab und zu ein wenig mit philosophie beschäftigen (müssen) ein begriff sein. er ist einer der ganz wenigen deutschsprachigen philosophen (mir fiele da sonst nur noch peter sloterdijk ein), der bereits zu lebzeiten von grosser bedeutung ist. ausserdem mischt sich habermas immer wieder in aktuelle politische diskussionen ein. vor ein paar wochen, gab er dem tagesanzeiger ein interview. da er in dieser beziehung als ziemlich scheu und vorsichtig gilt, tut er das praktisch ausnahmslos nur in schriftlicher form. das interview ist als ganzes lesenswert, speziell interessant finde ich aber die antwort auf folgende frage bezüglich der schweiz.

tagesanzeiger: haben sie eigentlich verständnis für die schweiz, die sich sehr schwer tut, der eu beizutreten?

habermas: ich habe das allergrösste verständnis für diese zurückhaltung. ich bewundere die republikanische form von demokratie, die die schweizer bürger praktizieren – aber wie viele der politisch relevanten entscheidungen werden denn heute noch in diesem basisdemokratischen rahmen gefällt? wie viele werden längst hinter unser aller rücken gefällt? die schweiz ist keine insel. ich frage mich, ob nicht die eingliederung in das noch sehr unvollständig demokratisierte mehrebenensystem der eu die abhängigkeiten, die jetzt schon bestehen, nur transparenter machen würde. schon jetzt muss sich die schweiz an viele regelungen anpassen, die in brüssel beschlossen werden, ohne dass sie an der diskussion über diese regelungen beteiligt gewesen ist. was ist besser: als kleines land von vornherein mit dabei zu sein oder nachher doch ja und amen sagen zu müssen? es ist gut, dass den schweizer bürgern diese in den folgen tatsächlich schwer überschaubare entscheidung niemand abnehmen kann.

[quelle: tagesanzeiger vom 11. juni 2008, s.49]

interview mit habermas

bald eine europäische union der zwei stufen?

irland hat den eu-reformvertrag abgelehnt. einmal mehr widersetzten sich somit die bürger eines eu-mitgliedstaates indirekt der eigenen regierung. ähnich muster waren damals bei den volksabstimmungen zur «eu-verfassung» beobachtet worden. trotzdem ist es natürlich etwas seltsam, dass gerade irland – der vielleicht grösste profiteur der europäischen integration – dermassen wuchtig (53% bei 53%iger stimmbeteiligung) gegen den reformvertrag votiert.

für die europäische union kann es nun darum gehen, eine neue richtung einzuschlagen. auch wenn barroso beschwichtigt, dass nicht die eu-komission zur debatte stand, so hat sie doch eine schmerzliche niederlage eingefangen. deshalb gibt es bereits politiker, die einen weg ohne irland einschlagen möchten. das sei, so frank-walter steinmeier, zwar rechtlich schwierig aber durchaus denkbar.

luxemburgs regierungspräsident jean-claude juncker sähe zusammen mit dem deutschen eu-abgeordneten günter verheugen eine andere mögliche lösung. die schaffung eines «kern-europas» oder auch «club der integrationswilligen» steht zur debatte. das klingt für die mutmasslichen mitglieder in einem solchen club natürlich interessant. reformen liessen sich schneller umsetzen, der diskurs würde abekürzt. ich frage mich aber, ob eine solche eu der zwei stufen nicht mehr ausgrenzen denn integrieren würde. ich denke, für einmal hat nicolas sarkozy die lage am besten begriffen: man müsse berücksichtigen, dass die menschen das projekt der europäischen integration offensichtlich nicht begriffen hätten. und man müsse alles dafür tun, damit aus dem irischen nein keine eu-weite krise werde.

grundsätzlich muss es zukünftig darum gehen, dass die europäische union das ihr immer wieder vorgeworfene demokratiedefizit durch glasklare transparenz und beispiellose verständlichkeit bzw. nachvollziehbarkeit jeglicher entscheide soweit als möglich ausgleichen kann. weiter müssen die bürger endlich ausreichend informiert werden, wie sie ihre anliegen an die eu herantragen können. nur so kann sie die akztepanz im heterogenen volk der europäischen union gesteigert werden. und vielleicht gelingt es ihr so auch irgendwann einmal eine volksabstimmung zu gewinnen.

merkel als klimaschutzverhindererin

wie reuters meldet, wehrt sich angela merkel gegen den beschluss der eu, den durchschnittlichen co2-ausstoss von autos auf 120g/km zum limitiere. das sei «industriepolitik» und nicht «umweltpolitik». und das gefährde wiederum die deutsche automobilindustrie. das glaube ich nicht. aber: die deutschen haben es in den vergangenen 15 jahren verschlafen, schlaue klein- und kleinstwagen zu entwickeln. die kleinwagenkompetenz haben unsere nördlichen nachbarn völlig verloren, dabei haben sie einst den volkswagen erfunden. mittlerweile haben sowohl die italiener (panda!) und die franzosen (c1, 107, twingo) überholt. der einzige vernünftige hersteller von deutschen kleinwagen ist opel, und das auch nur, weil er von einem ehemaligen zusammenschluss von general motors mit fiat profitiert. traurig, traurig, angela. noch drastischer formulierte übrigens markus ferber (sprecher der csu-gruppe) die ganze sache:

Die Entscheidung der EU-Kommission zur Verminderung des CO2-Ausstoßes von Autos ist eine Kriegserklärung an Deutschland

Markus Ferber in Welt Online

statt rumzujammern würde angela merkel besser mal die autoindustrie kritisieren. aber die heilige kuh der deutschen baut lieber weiter möglichst schnelle, schwere, schlicht tumbe autos. alles wird immer grösser und gleichzeitig soll der ausstoss schrumpfen? richtig, das ist praktisch ein ding der unmöglichkeit.

natürlich mag ich schnelle autos, aber die wahre kunst liegt (wie murat günak trefflich formulierte) im bau leichter und einfach zu bedienender automobile.

swissinfo
welt online