Corona und kein Ende

Einerseits ist die Zeit seit März wie im Fluge vergangen, andererseits habe ich das Gefühl, wir seien schon ewig in dieser Pandemie. So oder so haben sich in meinem Kopf einige Themen angestaut, zu denen ich gerne etwas loswerden möchte. Wenig erstaunlich haben sie alle irgendwie mit «Corona» zu tun.

Versagen in der zweiten Welle

Es war für mich unglaublich, wie unterschiedlich man in der Schweiz auf die zweite Welle verglichen mit der ersten reagiert hat. War in der ersten noch wenig über das Virus bekannt, so waren die Massnahmen doch klar und griffig. Der Lockdown war nicht lustig, hatte aber dazu geführt, dass wir relativ «schlank» durch die erste Welle kamen. Mir schien es, das Risiko wurde nicht nur von der Bevölkerung, sondern vor allem von Bundesrat und Parlament katastrophal unterschätzt. Dementsprechend kamen wir unter die Räder. 100 Tote pro Tag hatten wir über einen langen Zeitraum zu beklagen. Einhundert. Ein Wahnsinn. Zumal ein Wahnsinn, der zumindest in diesem Ausmass zu verhindern gewesen wäre. Aber nein, der Bundesrat übergab das Zepter an die Kantone:

Föderalismus in der Krise

Ein doppeldeutiger Titel, bemerkt? Zum einen hat sich gezeigt, dass in der Krise die falsche Zeit ist, um auf Föderalismus zu setzen. Zum anderen würde ich sagen, dass auch die Abstimmung unter den Kantonen mangelhaft war und sich diesbezüglich auch für die Zukunft gewisse Fragen stellen.

Es war ein spezieller Zufall, dass genau in jener Phase auch noch eine Abstimmung aufgrund des Ständemehrs entschieden wurde. Ich glaube weiter an den Minderheitenschutz und stehe hinter der Idee dieses Instruments. Trotzdem muss man die Entwicklung im Auge behalten.

Im Restaurant essen?

Im Lockdown war alles klar. Die Restaurants waren zu. In der zweiten Welle blieben sie offen, gleichzeitig galt aber die Empfehlung des Bundesrates, besser zuhause zu bleiben. Warum dieser Widerspruch nicht mehr Entsetzen ausgelöst hat, ist mir nicht ganz klar. Ich bin der Meinung, dass man die Restaurants unterstützen muss, solange es keine verordnete Schliessung und damit Ausgleichszahlungen gibt.

Warum sehe ich nur noch Verschwörungstheoretiker*innen?

Ging es Euch in diesem Jahr auch so? Gefühlt die Hälfte der online vertretenen Kontakte verbreitete irgendwelche kruden Ansichten. Lange habe ich mich gefragt, wie es zu dieser Häufung kommen konnte. Irgendwann kam ich zur überraschend einfachen Antwort.

Der ernüchternde Part: Diese Leute haben schon immer geglaubt, 9/11 sei ein Inside Job gewesen oder Bill Gates wolle uns alle chippen. Vielleicht haben wir das nicht bemerkt, weil bis dato keine Themen zur Sprache kamen, wo sich solche Theorien offenbart hätten. Nun gibt es dieses Jahr halt eben nur ein Thema und das ist nunmal Corona. Darum überschneiden sich nun deren abstruse Gedankengänge mit «unseren» Interessen. As simple as that.

Brauchen wir eine Impfpflicht?

Hätte man mir diese Frage vor einem Jahr gestellt, hätte ich sie mit einem deutlichen Nein beantwortet. Wie kann man nur auf eine solche Idee kommen? Inzwischen sehe ich, wie die Bereitschaft, sich zu impfen seit März um etwa 10 Prozentpunkte abgenommen hat. Und ich höre von vielen Leuten, dass sie sich sicher nicht impfen lassen würden. Klar, das ist nur meine Bubble, aber trotzdem. Ohne einen grossen Anteil von Geimpften in der Bevölkerung, werden wir kaum ein baldiges Ende der Corona-Massnahhmen erleben. Demnach würde es also eine Impfpflicht brauchen.

Aber: Ich glaube nicht, dass diese in der Schweiz eine Chance hat. Nur schon die stete Betonung der «Eigenverantwortung» in den vergangenen Monaten hat gezeigt, dass man möglichst nicht auf die Karte Zwang setzt, was ja im Prinzip erfreulich ist. Ein indirekter Zwang wird mit hoher Wahrscheinlichkeit durch die Fluggesellschaften kommen. Sehr gut möglich, dass man nur mit bestätigter Impfung ins Flugzeug steigen darf. Ähnliches wäre theoretisch auch für Konzerte oder Sportveranstaltungen möglich. Der dadurch erzeugte soziale Druck mag nicht angenehm sein, anders werden wir aber die benötigte Impfquote kaum erreichen.

Und ja, ich persönlich werde mir den Shot sobald wie möglich holen.

Ueli Maurer

Der Zürcher Oberländer hat sich hier einen eigenen Abschnitt verdient. Kein anderer Bundesrat hat sich in diesem Jahr dermassen unkollegial und asozial verhalten. Er wollte die SwissCovid App nicht benutzen, weil er keine Ahnung von solchem Zeug habe. Er hat Covid-19 wiederholt als Grippe bezeichnet, obwohl längst klar ist, dass es sich eben nicht um eine konventionelle Grippe handelt. Er hat gesagt, man habe in der zweiten Welle eine Güterabwägung gemacht. Klingt harmlos. Die Aussage dahinter: Die über 100 Toten pro Tag seien in Kauf zu nehmen, damiit die Wirtschaft normal weiterlaufen könne. Solches Verhalten ist einem Bundesrat nicht würdig, weshalb ich finde, Ueli Maurer sollte zurücktreten. Dass an seinem 70. Geburtstag dann noch ein stehendes Geburtstagslied im Parlamant angestimmt wurde, wobei viele keine Maske trugen, passt leider nur zu gut zu ihm.

Angela Merkel

Sie ist so etwas wie der Gegenentwurf zu Ueli Maurer. Führungsstark, intelligent, empathisch. Sie zeigt dieser Tage, warum man sie in den kommenden Jahren wohl noch sehr vermissen wird. Mit ihrem Background weiss sie, wie man Statistiken interpretiert. Etwas, das man von unserem Bundesrat leider nicht behaupten kann. Sie knickt zudem nicht vor den Lobbies ein, die in Deutschland bestimmt nicht schwächer sind als in der Schweiz. Und sie ist sich nicht zu schade, auch einmal einen etwas emotionaleren Ton zu wählen. Letzendlich vertraut sie der Wissenschaft, was sie gerade heute gegenüber dem intellektuell am stärksten benachteiligten Teil der deutschen Politik einmal mehr deutlich mitgeteilt hat.

Ähnliches lässt sich auch über Neuseelands Jacinda Adern oder Finnlands Sanna Marin sagen. Frage mich gerade, welche andere Gemeinsamkeit diese drei Personen teilen… 😉

Sonderbehandlung der Kirchen

Dass Kirchen 2020 immer noch eine Spezialbehandlung geniessen, ist eine Beleidigung für alle, die im Kultur- oder Gastrobereich mit grossen Einschränkungen umgehen müssen. Konkret hiess es gestern:

Öffentliche Veranstaltungen werden mit Ausnahme von religiösen Feiern sowie Versammlungen von Legislativen verboten.

BZ

Gerade die Sportclubs haben aufwändige Schutzkonzepte erarbeitet (und für eine sehr kurze Zeit auch umgesetzt). Sie dürfen anders als Kirchen weiterhin keine Zuschauer in ihre Stadien lassen.

Das Bild

Daniel Probst alias @skepteis auf Twitter hat nicht nur die tolle Informationsseite corona-data.ch zu verantworten, er hat auch diese imposante Grafik erstellt:

Es handelt sich um rote Quader. 5593 rote Quader. 60 x 60 x 200 cm pro Stück.

Bleibt gesund!

Eine Antwort auf „Corona und kein Ende“

  1. Erste Welle: «Es ist nicht gut gelaufen, aber wenigstens haben wir was gelernt.»

    Zweite Welle: «Wir haben nicht nur nichts gelernt, wir sind sogar noch dümmer geworden.»

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