Alex Baur, George Floyd und die Fairness

Alex Baur ist ein intelligenter Mensch. Bestimmt intelligenter als ich. Trotzdem schreibt er für die Weltwoche. 😉 Aber wir wollen fair bleiben, denn darum soll es in diesem Beitrag ja gehen. Und darum sollten wir vielleicht zuerst anschauen, was Fairness überhaupt bedeutet. Gibt man „Fairness Definition“ bei Google ein, erscheint folgendes Resultat:

Substantiv, feminin [die] 1. anständiges Verhalten; gerechte, ehrliche Haltung andern gegenüber 2. Sport den [Spiel]regeln entsprechendes, anständiges und kameradschaftliches Verhalten beim Spiel, Wettkampf o. Ä.

Die online Version des Cambridge Dictionary meint:

the quality of treating people equally or in a way that is right or reasonable.

Mir ist diese Version näher. Es mag aber bezeichnend sein, dass es keine vorherrschende Definition des Begriffs gibt. So bastelt so mancher sich seine eigene Version.

Nun zu George Floyd. Er war definitiv kein Heiliger. Es ist relativ mühsam, sich über ihn zu informieren, weil die meisten Quellen in die eine oder andere Richtung gefärbt zu sein scheinen. Mein Punkt ist aber ein ganz anderer: Unabhängig davon, wie jemand aussieht, wie er sich verhält, die Staatsgewalt soll ihn verhältnissmässig und fair behandeln. Vor dem Gesetz sind wir alle gleich. Ansonsten können wir uns nicht auf den Staat und seine ausführenden Kräfte verlassen. Das stiftet Unsicherheit, Angst und ein Klima, in dem das Verfolgen persönlicher Ziele schwer bis unmöglich zu drohen wird. Es schwächt die Gesellschaft als Ganzes.

Nun gibt es Hinweise (The Guardian, CNN, CNBC) darauf, dass die Polizei in den USA dunkelhäutige Menschen generell schlechter behandelt und sogenanntes Racial Profiling betrieben wird. Im speziellen Fall von George Floyd ist bekannt, dass dieser minutenlang ein Knie auf seinem Hals erdulden musste. Obwohl er wiederholt geäussert hatte, er könne so nicht atmen, wurde das Knie nicht gehoben. George Floyd ist gestorben. Die Black-Lives-Matter-Bewegung wurde geboren. Auch sie hat nicht nur Gutes getan. Doch ihr Ruf nach Gleichberechtigung und Gleichbehandlung dunkelhäutiger Menschen, speziell in den USA aber auch weltweit, wurde gehört. Er war und bleibt leider berechtigt.

Als vorgestern verkündet wurde, der fragliche Polizist werde tatsächlich für die Tötung Floyds zur Rechenschaft gezogen, gab es Leute, die gejubelt haben. Ich gehörte nicht dazu. Gestern habe ich getweetet, das heute und immer #BlackLivesMatter gelte.

Doch mir war klar, unter welchem enormen Druck die Verantwortlichen bei diesem Prozess gestanden haben mussten. Alex Baur nennt es als Zitat von Candace Owens „Mob Justice“. Das ist natürlich falsch. Denn hier wurde niemand durch die Gassen getrieben, aufgehenkt, gevierteilt oder verbrannt. Dessen ist sich Alex Baur natürlich auch bewusst. Nicht weiter zu differenzieren ist aber halt billig, unfair und falsch. Dass er sogar noch vorausschickt, das sei alles, was es zum Prozess zu sagen gebe, macht es noch ein wenig lächerlicher. Es gäbe so viel mehr zu sagen.

So bin ich selbst auch fest davon überzeugt, dass dieser Polizist keinen fairen Prozess erhalten hat. Das war unter diesen Umständen einfach praktisch unmöglich. Der Umkehrschluss, dass hier ein Unschuldiger zu langer Haft verurteilt werden könnte, dürfte aber ebenfalls falsch sein.

[Hier der Link zum Tweet]

Und jetzt kommen wir zu Alex Baur. Er wirft mir plakativ und auch etwas unkreativ vor, ich sei ein „fieser Fries“. Solche wie mich gebe es noch viel auf dieser Welt. Es ist etwas enttäuschend, dass er sich nicht mehr Mühe mit der Beschimpfung gibt. Aber was soll’s, vielleicht fällt ihm für den nächsten Kontertweet etwas Besseres ein. Vielleicht ja sogar ein echtes Argument. Problematisch ist, dass er nun auf Basis dieses einen Prozesses mithilfe der höchst parteiischen Fox-Berichterstattung meint, er habe das Problem geortet. Das ist einseitig und mangels Einbettung in einen grösseren Kontext eines Journalisten unwürdig. Es mag ein bisschen nach Whataboutism klingen, doch es kann und darf an dieser Stelle einfach nicht unerwähnt bleiben, dass in den USA nun über Jahre immer wieder Polizeigewalt gegen Dunkelhäutige praktisch ungestraft blieb. Das war unfair, ungerecht und dies systematisch. Logisch macht dies den unfairen Prozess gegen den Polizisten Chauvin nicht ungeschehen und auch nicht besser. Aber es kann als Erklärung für den Druck dienen, unter dem nun die Justiz nun stand. Und was brauchen wir nun, damit dieser Druck nachlässt? Das ist zum Glück sehr einfach. Es braucht Fairness.

Mir scheint es generelles Kalkül Alex Baurs zu sein, lieber die Ausnahme en detail zu besprechen, als über die grösseren Zusammenhänge nachzudenken. Das wäre an sich nicht tragisch. Doch in aller Regel versucht er dann, vom einen Spezialfall einen generellen Trend abzuleiten, was halt einfach ein Fehlschluss ist. Gerade weil er wahrscheinlich weiss, dass dem so ist, handelt es sich dann nicht um Unvermögen, sondern um absichtlich gelebte Unfairness. Vielleicht ist es falsch von mir, von jemandem, der für ein politisches Magazin wie die Weltwoche schreibt, Fairness zu erwarten. Aber so ganz mag ich die Hoffnung nicht aufgeben.

Come on Alex, Du kannst es besser! 👍🏾

Corona und kein Ende

Einerseits ist die Zeit seit März wie im Fluge vergangen, andererseits habe ich das Gefühl, wir seien schon ewig in dieser Pandemie. So oder so haben sich in meinem Kopf einige Themen angestaut, zu denen ich gerne etwas loswerden möchte. Wenig erstaunlich haben sie alle irgendwie mit «Corona» zu tun.

Versagen in der zweiten Welle

Es war für mich unglaublich, wie unterschiedlich man in der Schweiz auf die zweite Welle verglichen mit der ersten reagiert hat. War in der ersten noch wenig über das Virus bekannt, so waren die Massnahmen doch klar und griffig. Der Lockdown war nicht lustig, hatte aber dazu geführt, dass wir relativ «schlank» durch die erste Welle kamen. Mir schien es, das Risiko wurde nicht nur von der Bevölkerung, sondern vor allem von Bundesrat und Parlament katastrophal unterschätzt. Dementsprechend kamen wir unter die Räder. 100 Tote pro Tag hatten wir über einen langen Zeitraum zu beklagen. Einhundert. Ein Wahnsinn. Zumal ein Wahnsinn, der zumindest in diesem Ausmass zu verhindern gewesen wäre. Aber nein, der Bundesrat übergab das Zepter an die Kantone:

Föderalismus in der Krise

Ein doppeldeutiger Titel, bemerkt? Zum einen hat sich gezeigt, dass in der Krise die falsche Zeit ist, um auf Föderalismus zu setzen. Zum anderen würde ich sagen, dass auch die Abstimmung unter den Kantonen mangelhaft war und sich diesbezüglich auch für die Zukunft gewisse Fragen stellen.

Es war ein spezieller Zufall, dass genau in jener Phase auch noch eine Abstimmung aufgrund des Ständemehrs entschieden wurde. Ich glaube weiter an den Minderheitenschutz und stehe hinter der Idee dieses Instruments. Trotzdem muss man die Entwicklung im Auge behalten.

Im Restaurant essen?

Im Lockdown war alles klar. Die Restaurants waren zu. In der zweiten Welle blieben sie offen, gleichzeitig galt aber die Empfehlung des Bundesrates, besser zuhause zu bleiben. Warum dieser Widerspruch nicht mehr Entsetzen ausgelöst hat, ist mir nicht ganz klar. Ich bin der Meinung, dass man die Restaurants unterstützen muss, solange es keine verordnete Schliessung und damit Ausgleichszahlungen gibt.

Warum sehe ich nur noch Verschwörungstheoretiker*innen?

Ging es Euch in diesem Jahr auch so? Gefühlt die Hälfte der online vertretenen Kontakte verbreitete irgendwelche kruden Ansichten. Lange habe ich mich gefragt, wie es zu dieser Häufung kommen konnte. Irgendwann kam ich zur überraschend einfachen Antwort.

Der ernüchternde Part: Diese Leute haben schon immer geglaubt, 9/11 sei ein Inside Job gewesen oder Bill Gates wolle uns alle chippen. Vielleicht haben wir das nicht bemerkt, weil bis dato keine Themen zur Sprache kamen, wo sich solche Theorien offenbart hätten. Nun gibt es dieses Jahr halt eben nur ein Thema und das ist nunmal Corona. Darum überschneiden sich nun deren abstruse Gedankengänge mit «unseren» Interessen. As simple as that.

Brauchen wir eine Impfpflicht?

Hätte man mir diese Frage vor einem Jahr gestellt, hätte ich sie mit einem deutlichen Nein beantwortet. Wie kann man nur auf eine solche Idee kommen? Inzwischen sehe ich, wie die Bereitschaft, sich zu impfen seit März um etwa 10 Prozentpunkte abgenommen hat. Und ich höre von vielen Leuten, dass sie sich sicher nicht impfen lassen würden. Klar, das ist nur meine Bubble, aber trotzdem. Ohne einen grossen Anteil von Geimpften in der Bevölkerung, werden wir kaum ein baldiges Ende der Corona-Massnahhmen erleben. Demnach würde es also eine Impfpflicht brauchen.

Aber: Ich glaube nicht, dass diese in der Schweiz eine Chance hat. Nur schon die stete Betonung der «Eigenverantwortung» in den vergangenen Monaten hat gezeigt, dass man möglichst nicht auf die Karte Zwang setzt, was ja im Prinzip erfreulich ist. Ein indirekter Zwang wird mit hoher Wahrscheinlichkeit durch die Fluggesellschaften kommen. Sehr gut möglich, dass man nur mit bestätigter Impfung ins Flugzeug steigen darf. Ähnliches wäre theoretisch auch für Konzerte oder Sportveranstaltungen möglich. Der dadurch erzeugte soziale Druck mag nicht angenehm sein, anders werden wir aber die benötigte Impfquote kaum erreichen.

Und ja, ich persönlich werde mir den Shot sobald wie möglich holen.

Ueli Maurer

Der Zürcher Oberländer hat sich hier einen eigenen Abschnitt verdient. Kein anderer Bundesrat hat sich in diesem Jahr dermassen unkollegial und asozial verhalten. Er wollte die SwissCovid App nicht benutzen, weil er keine Ahnung von solchem Zeug habe. Er hat Covid-19 wiederholt als Grippe bezeichnet, obwohl längst klar ist, dass es sich eben nicht um eine konventionelle Grippe handelt. Er hat gesagt, man habe in der zweiten Welle eine Güterabwägung gemacht. Klingt harmlos. Die Aussage dahinter: Die über 100 Toten pro Tag seien in Kauf zu nehmen, damiit die Wirtschaft normal weiterlaufen könne. Solches Verhalten ist einem Bundesrat nicht würdig, weshalb ich finde, Ueli Maurer sollte zurücktreten. Dass an seinem 70. Geburtstag dann noch ein stehendes Geburtstagslied im Parlamant angestimmt wurde, wobei viele keine Maske trugen, passt leider nur zu gut zu ihm.

Angela Merkel

Sie ist so etwas wie der Gegenentwurf zu Ueli Maurer. Führungsstark, intelligent, empathisch. Sie zeigt dieser Tage, warum man sie in den kommenden Jahren wohl noch sehr vermissen wird. Mit ihrem Background weiss sie, wie man Statistiken interpretiert. Etwas, das man von unserem Bundesrat leider nicht behaupten kann. Sie knickt zudem nicht vor den Lobbies ein, die in Deutschland bestimmt nicht schwächer sind als in der Schweiz. Und sie ist sich nicht zu schade, auch einmal einen etwas emotionaleren Ton zu wählen. Letzendlich vertraut sie der Wissenschaft, was sie gerade heute gegenüber dem intellektuell am stärksten benachteiligten Teil der deutschen Politik einmal mehr deutlich mitgeteilt hat.

Ähnliches lässt sich auch über Neuseelands Jacinda Adern oder Finnlands Sanna Marin sagen. Frage mich gerade, welche andere Gemeinsamkeit diese drei Personen teilen… 😉

Sonderbehandlung der Kirchen

Dass Kirchen 2020 immer noch eine Spezialbehandlung geniessen, ist eine Beleidigung für alle, die im Kultur- oder Gastrobereich mit grossen Einschränkungen umgehen müssen. Konkret hiess es gestern:

Öffentliche Veranstaltungen werden mit Ausnahme von religiösen Feiern sowie Versammlungen von Legislativen verboten.

BZ

Gerade die Sportclubs haben aufwändige Schutzkonzepte erarbeitet (und für eine sehr kurze Zeit auch umgesetzt). Sie dürfen anders als Kirchen weiterhin keine Zuschauer in ihre Stadien lassen.

Das Bild

Daniel Probst alias @skepteis auf Twitter hat nicht nur die tolle Informationsseite corona-data.ch zu verantworten, er hat auch diese imposante Grafik erstellt:

Es handelt sich um rote Quader. 5593 rote Quader. 60 x 60 x 200 cm pro Stück.

Bleibt gesund!

Schwulsein 2019

Nein, das wird nicht mein Coming-Out. 😉 Und eigentlich habe ich das Gefühl, das Thema sei längst durch. Aber dann gibt es diese Momente, in denen ich mich tief ins letzte Jahrtausend zurückversetzt fühle. Welche Momente? Drei Beispiele:

  1. Die sogenannte Heiratsstrafe sollte per Abstimmung abgeschafft werden. So weit, so logisch. Nur hatte die CVP damals einen Passus in den Gesetzestext geschmuggelt, der die Ehe strikt zwischen Mann und Frau definierte. Darum verlor man die damalige Abstimmung. Nun wird sie eventuell wiederholt, weil die Informationen im Abstimmungsbüchlein nicht korrekt waren. Würde sie in dieser Form dann angenommen, wäre der Weg für die längst fällige Ehe für alle blockiert.
  2. Der Rahmen der Antirassismusstrafnorm soll weiter gefasst werden und künftig auch sämtliche sexuelle Orientierungen schützen. Generell kann man gegen dieses Gesetz sein, weil es die Meinungsäusserungsfreiheit einschränkt. In der Diskussion um die Erweiterung fällt aber auf, dass praktisch nur jene Parteien und Exponenten dagegen sind, denen Homosexuelle ein Dorn im Auge sind.
  3. Im Rahmen eines Promi-TV-Formats hat Sven Epiney «um die Hand seines Partners angehalten». (Anführungs- und Schlusszeichen, weil in der Schweiz eine Heirat aktuell nicht möglich ist) Der Hass dem das schwule Paar sich danach auf Social Media ausgesetzt sah, war laut Boulevardblatt Blick enorm.
  4. Ja, ich weiss, drei habe ich gesagt… Der Sultan von Brunei, der Schwule sogar steinigen lassen will, sei hier auch erwähnt. Es ist ziemlich offensichtlich, dass so etwas Wahnsinn ist.

How hard can it be? Können wir uns nicht auf wesentliche Probleme – wie zum Beispiel den Klimawandel – konzentrieren und die Menschen lieben lassen, wen sie eben lieben? Irgendwie ist es mir fast ein wenig peinlich, 2019 noch einen Beitrag darüber schreiben zu «müssen».

Solange es (mindestens via Social-Media-Kommentare) einen Skandal auslöst, wenn ein Schwuler seinem Partner einen Antrag macht, so lange haben wir noch viel Arbeit vor uns. Und offenbar braucht es solche eigentlich ziemlich doofen Events, die uns als Gesellschaft nicht nur immer wieder zeigen, dass es Homosexualität gibt, sondern auch, dass sie völlig «normal» ist. Schwule Lehrer «machen» ebensowenig schwule Schüler, wie das Hören von George Michaels Faith schwul macht. Machen wir uns locker, akzeptieren die Vielfalt nicht nur, sondern geniessen sie. Bei letzterem sind vielleicht auch die Homosexuellen selbst angehalten, etwas offener zu werden. Nur wenn sie auch sichtbar sind, können sie jemals den angestrebten Status jener Belanglosigkeit erlangen, die jedes Heteropaar längst kennt. Zwei Männer schlendern händchenhaltend der Seepromenade entlang? So fucking what.

Schon beim Schreiben dieses Textes fällt mir auf, wie wenig Verständnis ich für die negativen Einstellungen gegenüber Homosexuellen habe. Mir ist es komplett egal, welche Frau mit welchem Mann ins Bett geht, warum sollte es mich dann stören, wenn es Frau und Frau oder Mann und Mann miteinander tun? Aus Erfahrung weiss ich, dass lesbische Frauen generell mit weniger Gegenwind zu kämpfen haben als schwule Männer. Und das wiederum liegt vor allem an uns Männern. Nicht selten habe ich den Satz gehört «Schwule sind mir doch total egal, aber die sollen mich einfach nicht anmachen». Lange habe ich nicht gecheckt, warum das so ein Problem sein sollte. Irgendwann stellte ich für mich dann aber die These auf, dass es von einer Spiegelung des jeweils eigenen Flirtverhaltens herkommen musste. Ja, wer selbst superflach flirtet und im Club seine Hände nicht bei sich behalten kann, der hat vielleicht etwas mehr «Angst» vor flirtenden Schwulen. Aber wessen Problem wäre das denn, wenn diese These zutrifft? Eben.

 

PEACE

Der Ex-Eishockeygoalie und die SVP-Propaganda

So langsam wird es zur Gewohnheit, dass ich über jede SVP-Abstimmung etwas schreiben «muss». Dieses Mal wollte ich es bleiben lassen. Ehrlich. Aber dann ist mir etwas passiert, das mir auf sehr bildhafte Weise gezeigt hat, wie sich die SVP-Propaganda gewandelt hat.

Früher (und vielleicht bei anderen Abstimmungen dann auch wieder) waren es stark überzeichnete Karikaturen, die selbst Kleinkindern klar gemacht hatten, dass die Schweiz in grosser Gefahr sei und man deshalb eben das gewünschte Wörtchen auf den Abstimmungszettel schreiben müsse. So weit, so durchschaubar. Oft haben wir über Motive (schwarze Hände, schwarze Schafe, etc.) diskutiert und ihre absichltich diskriminierende Darstellung kritisiert. Nun ist alles anders. Rot, Schwarz und Weiss wurden durch ein neutrales Orange abgelöst, das eher zu einer biederen CVP-Gemeinderatswahl von Toni Huber passen würde. Und genau das ist natürlich der Trick: Mit gefälliger, sympathischer und vermeintlich positiver Darstellung wird die sogenannte Selbstbestimmungsinitiative (SBI) zur Annahme empfohlen.

Obwohl ich eigentlich immer wieder andere Erfahrungen gemacht habe, dachte ich mir, dass diese Taktik nicht aufgehen würde. Die mündigen Menschen in diesem Land würden doch sofort durchschauen, dass sie hier an der Nase herumgeführt würden. Aber mitnichten. Letzte Woche bin ich auf Facebook dann in eine Diskussion geraten, nachdem ich auf der Timeline eines ehemaligen Eishockeygoalies einen von ihm geteilten Beitrag kommentiert hatte. Es war die flammende Rede von Roger Köppel für die SBI.

Disclaimer: Es war nicht dieses Video. Leider finde ich es nicht mehr. Die Stossrichtung hier ist aber die gleiche.

Ich habe leider nur noch einen Teil der Kommentare als Screenshots:

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Die Antwort des Ex-Eishockeygoalies: Das macht mir Angst.

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Ich habe dann höflich (echt jetzt) nachgefragt, vor was genau man dann eine solche Angst habe. Ich wurde in der Folge vom Ex-Eishockeygoalie mit Vorwürfen eingedeckt:

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Meine Antwort darauf war (aus der Erinnerung): Ich traue der Schweiz zu, dass sie sowohl mit einer Annahme als auch mit einer Ablehnung der Initiative umgehen kann. Aber ich bin es nicht, der hier Angst verbreitet. Ich habe dann nochmals konkret nachgefragt, was genau bei einer Ablehnung wahnsinnig Schlimmes passieren würde. Eine Antwort darauf erhielt ich nie. Dafür das:

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Ich wurde von ihm dann unfriended und offenbar auch geblockt. Es enttäuscht mich immer wieder, wenn jemand sich zuerst aus dem Fenster lehnt (hier im Falle des geteilten Videos) und dann aber nicht ansatzweise seine Einstellung begründen mag, sondern nur mit Aggressivität und Gesprächsverweigerung reagiert. Aber vielleicht lernt man das in der PR-Schulung als Profisportler.

Etwas lange Rede, sehr kurzer Sinn: Die SVP-Propaganda der neuen Art funktioniert.

Wer sich etwas umhört und nicht nur ebenjene Propaganda konsumiert, wird schnell verstehen, dass uns hier eine ziemlich undurchsichtige Initiative zur Abstimmung vorliegt. NGOs wie Amnesty International beziehen Position gegen die Initiative. Auch die rechts von der Mitte politisierende FDP stellt sich klar gegen die Initiative. Wollen die also tatsächlich «fremde Richter»? Ähm, nein… aber das mit den fremden Richtern ist sowieso nicht ganz so einfach, wie man es vielleicht vermuten würde. Michael Elsener hat das ziemlich treffend in einem Video zusammengefasst:

 

Also, hey: Lasst Euch nicht verarschen. Immer, wenn ein Parlamentarier über die «Elite» schimpft (zu der er ja ganz offensichtlich selber gehört), sollte man hellhörig werden. Wenn eine teure nationale Plakatkampagne gänzlich ohne das Logo der verantwortlichen Partei auskommen, sollte man ebenfalls hellhörig werden. Über einen EU-Beitritt stimmen wir bei der SBI auch nicht indirekt ab. Zum Schafott wird ebenfalls niemand geführt. Und wenn jemand das anders sieht: Ich bin gerne zu einer Diskussion bereit. Und nein, ich werde Dich nicht unfrienden. 😉

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Einen interessanten Artikel zum Thema gibt es auch in der Republik zu lesen.

Laut diesem Artikel der NZZ könnte es am Abstimmungstag noch knapp werden.

Von Hymnen und Adlern und Ehre

Not again. Wie oft haben wir darüber «diskutiert», wer nun die Nationalhymne singe und wer nicht? Ah ja, es geht natürlich um unsere Fussball Nationalmannschaft, die Nati, die gestern Serbien mit 2:1 geschlagen hat. Das ist grossartig, doch wird uns nicht der Sieg, sondern die Jubelgeste unserer Torschützen in Erinnerung bleiben.

Die Vorgeschichte ist bekannt, in Serbien träumt man noch immer von «Grossserbien» und versteht jede Abspaltung von jenem erträumten Reich als Affront. In der Schweiz gibt es einen grossen Anteil unter der zugewanderten Bevölkerung, die aus Albanien oder dem noch jüngeren Kosovo stammt. Dementsprechend finden sich auch Spieler jener Abstammung in der Nationalmannschaft der Schweiz. So weit, so intergriert. Klar singen nicht alle die Hymne mit. Aber seien wir ehrlich: Wer von uns beherrscht auch nur den kleinen Teil, der jeweils vor dem Spiel zu singen wäre? Textlich und vor allem gesanglich? Und wer würde sie dann vor Millionenpublikum noch lauthals singen? Eben. Trotzdem könnte man das von den 11 natürlich erwarten. Im Endeffekt sollen sie aber mit ihrer Leistung auf dem Platz zeigen, dass sie sich für unser Land einsetzen wollen.

Jene Spieler haben ebenso zwei Herzen in ihrer Brust, wie Ricardo Rodrigues oder früher vielleicht Ciriaco Sforza oder Kubi. Auch das versteht im Prinzip jeder, der nicht bei jeder Gelegenheit meint, er müsse zwischen Schweizern und «Eidgenossen» unterscheiden. (Hier habe ich zu jenem Quatsch bereits einmal etwas geschrieben) Was niemand versteht, ist ebenjene Geste, die unsere Nummern 10 und 23 nach ihren tollen Toren gestern präsentiert haben. Der albanische Doppeladler wird mit den Händen geformt. Und gestern wurde er vor allem geformt, um die Fans des Gegners aus Serbien zusätzlich zu provozieren. Abgesehen davon, dass man in der Schweizer Nationalmannschaft eben die Schweiz und nicht Albanien oder den Kosovo an der Weltmeisterschaft vertritt, ist so etwas einfach überaus infantil und peinlich.

Nach dem Spiel wollten Xherdan und Granit dann nicht wirklich viel von der Geste wissen, wenn man sich die Interviews so anhört. Das sei ja gewesen und man solle doch das Resultat und das tolle Spiel anschauen. Gut und recht. Nur: Die ganze Geschichte mit der Abspaltung von Serbien ist auch «gewesen». Der Anspruch der Serben, der von der Schlacht bei Amselfeld herrührt ist auch «gewesen». Wenn ihr so verdammt gut im Vergessen seid, warum vergesst ihr diese historisch glorifizierte Kacke nicht endlich mal? Ich gehe nicht davon aus, dass ich mit euch jemals ein Gespräch darüber führen werde. Aber ich stelle mir die Antwort bei der Konfrontation so vor, dass ihr mit irgendeiner «Ehrengeschichte» kommen würdet. Und das wäre dann natürlich wichtig und so. Hier meine Replik darauf:

Habt ihr euch schon mal überlegt, dass es eine Ehre sein könnte, für die Schweiz an der WM mit dabei zu sein? Habt ihr euch schon mal überlegt, dass Dutzende Spieler gerne an eurer Stelle wären, aber genau ihr den Platz in der besten Elf gekriegt habt? Habt ihr euch schon mal überlegt, welches Land euch eure grossartigen Fussballerkarrieren überhaupt erst ermöglicht hat? Und habt ihr euch schon mal überlegt, dass zuhause in der Schweiz (mindestens) ein Drittel der Bevölkerung nur darauf wartet, bis ihr so eine behämmerte Adlergeste macht, damit ihr das Klischee der Nichtintegrierten wieder richtig schön bewirtschaftbar macht? Denkt ihr darüber nacht, dass ihr damit viele bestens intergrierte Menschen aus dem Balkan in die genau gleiche Erklärungsnot bringt, in der ihr euch selbst befindet? Ihr braucht mir auf all diese Fragen nicht zu antworten. Aber wenn ihr es wirklich so mit der Ehre habt, dann strengt euch gopfertamminomol gefälligst an und zwar in jeder einzelnen Sekunde, in der ihr für unser Land auf dem Rasen steht. Dann gewinnen wir am Ende noch den Pokal. Wir. Zusammen. Ehrenvoll und so.

Hopp Schwiiz!!!

Adoption

Normalerweise äussere ich mich nicht zu Themen, die mich persönlich betreffen. Da habe ich in der Vergangenheit in vielen Fällen eine Linie gezogen, da ich mich nicht exponieren möchte. Zwei mit Adoption im Zusammenhang stehende Themen haben mich aber derart aufgewühlt, dass ich mich nun irgendwie äussern muss. Das eine ist die Diskussion um die Ehe für alle (#ehefüralle), wo es immer wieder auch darum geht, wer adoptieren darf und wer nicht. Das andere ist der Skandal um die Adoptionen aus Sri Lanka in den 1980er-Jahren, wo sich immer mehr zeigt, dass da teilweise kriminelle Vorgänge abliefen. Ich versuche mal, zu beidem etwas zu schreiben.

Sri Lanka

Im Beitrag der Rundschauf auf SRF1 vom 16. Mai 2018 wird verhältnismässig objektiv über die Geschehnisse in den 1980er-Jahren berichtet. Offenbar war es in Extremfällen so, dass Kinder ihren Eltern ohne deren Einverständnis weggenommen wurden, um sie dann zu verkaufen. Vor Gericht tauchte dann nicht die echte Mutter, sondern eine Schauspielerin auf. Natürlich ist es heute schwer herauszufinden, wer wirklich auf diese kriminelle Art zur Adoption freigegeben wurde, zumal eine der Mitverantwortlichen aus der Schweiz die Vermittlerin Alice Honegger war, die in 1997 gestorben ist. Weiter soll es sogenannte Baby Farms gegeben haben. Um den Bedarf an Adoptivkindern zu decken, sollen sie dort regelrecht «produziert» worden sein.

Etwa 700 Kinder wurden in jener Zeit aus Sri Lanka in die Schweiz vermittelt. Eines davon war ich. Schwer zu sagen, wie gross der Anteil jener war, die diesen Weg auf illegale Weise gegangen sind. Alice Honegger habe 250 Dossiers hinterlassen, die ihr Adoptivsohn auf Verlangen den Behörden abgeben würde.

Natürlich gibt es verschiedene Aspekte, die berücksichtigt werden sollten. Am Ende bleibt es aber eine Tatsache: Viele Kleinkinder aus Sri Lanka wurden in jener Zeit ihren Müttern entrissen. Wenn das heute noch irgendwie möglich ist, wäre es zwingend notwendig, die noch lebenden Beteiligten juristisch zu verfolgen und entsprechend zu bestrafen.

Ich hatte Glück. Viel Glück. Ich bin nicht nur in einem der sichersten und freiesten Länder der Welt gelandet, sondern habe auch noch tolle Eltern «erwischt», die sich immer liebevoll, unterstützend und wohlwollend um mich gekümmert haben. So wie man das mit einem Kind halt macht. Sie sind meine Eltern. Hier ist meine Heimat.

Doch viele Adoptierte können das entweder nicht von sich behaupten, oder sie haben irgendwann eine Identitätskrise, in der der dringende Wunsch erwacht, die biologischen Eltern zu finden und kennenzulernen. Oder sie entwickeln einfach eine enorme Neugier für die eigenen «Wurzeln». Das hatte ich nie. Doch gerade für jene Suchenden ist es dann emotional umso brutaler, wenn sie von diesen missbräuchlichen Abläufen erfahren. Es drängt sich die Frage auf: «Vermisst mich meine Mutter seit über 35 Jahren?» Das Unwissen schmerzt noch mehr, wenn man erfährt, dass die leiblichen Eltern vielleicht nie die Absicht hatten, ihr Kind abzugeben. Eine traurige Geschichte, die danach schreit, das sie von offizieller Seite beider Länder richtig aufgeklärt wird.

Ehe für alle

Dass Homosexuelle nicht mehr benachteiligt werden, sollte im 21. Jahrhundert eigentlich selbstverständlich sein. Immer wieder erlebe ich aber, dass dem im konkreten Fall dann eben doch nicht so ist. So ist die Heirat noch immer nicht möglich, nur die eingetragene Partnerschaft. In den letzten Tagen hat mich das Gefühl beschlichen, dass dies vor allem aus der Angst heraus abgelehent wird, Homosexuelle (vor allem männliche) könnten irgendwann Kinder adoptieren.

In dieser Beziehung hat sich der Präsident der Luzerner CVP mit einem Tweet in die Nesseln gesetzt. Inzwischen hat er seinen Account gelöscht. Was er geschrieben hat, vergesse ich so schnell aber nicht:

Mann + Frau: geht
Frau + Frau: geht irgendwie
Mann + Mann: geht nicht

Es war darauf bezogen, dass biologisch eben nur Frauen Kinder bekommen können. Mittels künstlicher Befruchtung wäre das auch bei einem rein weiblichen Paar möglich, bei einem männlichen naturgemäss nicht. Die Fehlüberlegung ist aber offensichtlich: Wenn eine Hetero-Paar ein Kind adoptieren möchte, ist es ja häufig so, dass eben die «natürliche Variante» nicht geklappt hat. Dem Gedankengang von Ineichen folgend würde das dann bedeuten, das diesen Hetero-Paaren eine Adoption verwehrt bliebe. Einer ähnlichen Denke folgt Armin Züger, der (komischerweise?) der gleichen Partei wie Ineichen angehört.

Mit dem, was da steht, können wir leben. Kein halbwegs normaler Mensch wird sich ernsthaft wünschen, Kinder wie ein T-Shirt kaufen zu können. Doch dahinter liegt natürlich ein anderer Gedanke. Später in diesem Twittergespräch hat er in auch formuliert: Es sei eben nicht natürlich.

Ich erlebe nicht selten, dass der Begriff «natürlich» verwendet wird, wenn man etwas positiv hervorheben will. Dabei geht vergessen, das nichts was wir heute im Alltag regelmässig brauchen wirklich natürlich ist. Möchten wir darauf nun einfach verzichten, weil es nicht natürlich ist? Wohl kaum. Und dann ist da natürlich die Medizin, die so manch «natürliche Unsicherheit» zu korrigieren weiss. Gerade auch während Schwangerschaften wird medizinisch eingegriffen.

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Die Natur würde eine weitaus höhere Todesrate vorsehen. Das kann man nicht wirklich wollen, oder Armin Züger? Meine Einschätzung ist sowieso, dass dieses «das ist nicht natürlich»-Argument immer dann gebracht wird, wenn man sich den wahren Grund nicht zu nennen getraut. Auch wenn er sagt, sein bester Freund sei schwul, vermute ich dennoch eine gewisse Ablehnung von Homosexualität.

Ganz bestimmt sind sowohl Züger als auch Ineichen gegen die Adoption von Kleinkindern durch Schwule. Denn das wäre ja nicht natürlich. 😉 Wenn sie ehrlich wären, würden sie wahrscheinlich sagen, dass sie homosexuelle Beziehungen als minderwertig einschätzen. Sie würden auch sagen, dass sie Angst hätten, dass Kinder mit homosexuellen Eltern schlechter erzogen würden. Wahrscheinlich sogar, dass diese Kinder die Tendenz hätten, selbst homosexuell zu werden.

Doch kommen wir zurück von den Mutmassungen in die Realität: Nicht alle Hetero-Eltern sind super, auch wenn sie «natürlich» sind. Nicht alle Kinder haben zwei Elternteile, aus welchen Gründen auch immer. Mit welcher ernsthaften Argumentation kann man wirklich darlegen, dass homosexuelle Eltern automatisch und bedingt durch ihre Homosexualität schlechtere Eltern und somit auch schlechter für das Kindswohl sind? Und wenn man das nicht kann, wovon ich ausgehe, wie kann man dann mit rationalen Argumenten die Adoption von Kindern durch ein sich liebendes homosexuelles Paar ablehnen?


Media

Babyschmuggel aus Sri Lanka (SRF)
Adoption Fraud (Zembla / Youtube)

Niemandskinder

Christian Ineichen löscht Twitter Account (zentralplus)
Infos zur SRF Arena vom 18.5.2018

In eigener Sache:

Es scheint fast so, als könnte ich momentan nur dann wirklich schreiben, wenn ich mich so richtig ärgere. Insofern ist die lange Pause zwischen den hier erscheinenden Beiträgen ja eigentlich ein richtig gutes Zeichen.


Gegendarstellung von Armin Züger:

Ich habe nichts gegen Adoption durch Homosexuelle. Ich habe auch keine Angst dass Kinder von Homosexuellen selber homosexuell werden könnten. Ich halte homosexuelle Beziehungen nicht für minderwertig. Das «unnatürlich» beziehe ich auf Leihmutterschaft und Reagenzglas-Befruchtung. Für mich steht das da etwas zu wenig klar, dass es sich um Mutmassungen handelt. Es entsteht der Eindruck ich sei Homosexuellen gegenüber negativ eingestellt. Was nicht stimmt.

Party like it’s 1999

Danke an Jörg, der mir meine eigenen Bilder vom Konzert von Alanis Morissette aus dem Jahr 1999 geschickt hat. Damals hatte ich die Sony Mavica mit 3,5″-Laufwerk in die Halle «geschmuggelt», um ein paar Bilder zu machen. Klar sind sie übel, aber sooo übel, wie ich gedacht hätte dann auch wieder nicht.

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Konzertvideofilmidioten

Wer kennt sie nicht, diese Konzertvideofilmidioten, die bei jeder Gelegenheit anstelle ihrer blossen Hände ihr Smartphone im Hochformat nach oben strecken. Muss ja alles festgehalten sein für die Nachwelt. Dass die Nachwelt allerhöchstens aus einer desinteressierten Whatsapp-Chatgruppe besteht, muss ja niemand wissen. Dass man den Song nur schnipselhaft aufgezeichnet hat auch nicht. Trotzdem gestehe ich: Ja, ich bin auch einer dieser Typen mit dem Handy in der Luft. War ich «immer» schon.

Wer hier mitliest, hat bestimmt schon irendwann ein solches Video gesehen. Damals, als man noch gar keine Digitalkameras an die Konzerte bringen durfte (ja liebe Kinder, das war früher so), schmuggelte ich meine kleine Sony in meinen Socken ins Hallenstadion. Zunächst erlaubten die Digicams nur kurze Filme. Ich erinnere mich an welche, die nur 20 Sekunden dauern durften, dann war der Arbeitsspeicher wohl voll. Doch irgendwann lag eine Songlänge an Video drin. Und irgendwann kam noch die Möglichkeit dazu, die ganze Chose auf Youtube mit den anderen Fans zu teilen.

Sicher, die Tonqualität ist weit davon entfernt, über alle Zweifel erhaben zu sein. Doch sind es immer mal wieder ganz spezielle Songs, die ich im Laufe meiner Karriere als Konzertbesucher so angesammelt habe. Und es sind ziemlich viele. 149, um genau zu sein. Ich habe die teilweise über 10 Jahre alten Aufnahmen alle in eine Playlist gekippt. Wer also ein wenig in meiner Konzertvergangenheit schmöckern möchte: Go ahead.

Und sorry, wenn Ihr irgendwann mal an einem Konzert hinter mir stehen solltet. Inzwischen halte ich mich zwar etwas zurück… aber so ein, zwei Videos pro Konzert müssen schon sein. Dafür dürft Ihr sie dann ja hier ansehen und vor allem: anhören. Ok? 😉

Der Integrationsvertrag des Blick

Eigentlich eine tolle Idee, so ein Integrationsvertrag. Wer hier ist, soll sich an geltende Normen halten. Doch wir wollen uns gar nicht lange damit aufhalten, was das denn für Normen sein sollen. Gehen wir doch einfach Punkt für Punkt die Blick-Idee durch.

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Die Rechte
1. Das Schweizer Recht gilt in der Schweiz für alle – Jeder Mensch ist vor dem Gesetz gleich.
Es sei denn, man ist ein superreicher Ausländer… dann ist man möglicherweise etwas gleicher.

2. Das Recht steht über der Religion – Der Glaube ist Privatsache. Die Entscheidung für eine Glaubensrichtung ist freiwillig. Niemand darf aus religiösen Gründen gezwungen werden, etwas zu tun oder zu unterlassen, das er oder sie nicht will.
Und weil Glaube Privatsache ist, zieht der Staat die Steuern für die grössten Kirchen des Landes ein. Und wie war das, als ich in Luzern letzte Woche um 0:45 noch ein Getränk in einer Bar hätte trinken wollen? Das ging nicht… weil am Karfreitag sämtliche Restaurants um 0:30 schliessen müssen.

3. Mann und Frau sind gleichberechtigt – Die Geschlechter haben in allen Belangen die gleichen Rechte und Pflichten. Frauen und Männer werden in der Öffentlichkeit, bei der Arbeit und zuhause mit gleichem Respekt behandelt.
Und darum bekommen Frauen bei uns überall für gleiche Arbeit auch den gleichen Lohn. Nee, leider nicht. Und deshalb hat der Mann bei der Geburt eines Kindes mehrere Wochen Vaterschaftsurlaub. Nee, auch das nicht. Und deshalb leisten die Frauen (mindestens) einen Militärersatzdienst. Nein, das klappt auch nicht. Und im Blick wird die Garderobe oder die Frisur eines Politikers ebenso oft zum Thema, wie das bei einer Frau der Fall ist. Ähm…

4. Jede und jeder geniesst hohe persönliche Freiheit – Jeder darf nach den eigenen Vorstellungen leben, sofern keinem anderen dadurch ein Nachteil entsteht. Niemand wird wegen Herkunft, sexueller Orientierung, Hautfarbe, politischer Gesinnung oder Religion diskriminiert.
Der gute alte Kategorische Imperativ… klingt so logisch, funktioniert aber auch nicht. Dass das Geschlecht in der Aufzählung fehlt, ist wohl kein Zufall. Und wenn man die Aufschreie hört, wenn es jeweils darum geht, gleichgeschlechtliche Paare in der Werbung zu zeigen, funktioniert das noch nicht so recht, oder? Noch schlimmer wäre es natürlich, das Thema in der Schule zu bringen…

5. Alle dürfen über alles reden – Die Schweiz kennt kein Tabu in Worten und Gedanken. Jeder darf über alles mitreden.
Diesen Punkt würde ich am ehesten als realistisch erachten, auch wenn er in etwas holprigem Deutsch daherkommt.

Die Pflichten
1. Jeder beherrscht oder lernt eine Landessprache – Nur wer Deutsch, Französisch, Italienisch oder Rätoromanisch in Wort und Schrift beherrscht, ist in der Lage, am täglichen Leben teilzunehmen.
Einverstanden. Darum müssen sämtliche Mitarbeiter von Banken, Pharmakonzernen und anderen international tätigen Firmen bis Ende Jahr das Land verlassen, wenn sie nur Englisch sprechen. Und mal ehrlich: Sollen wir mal einen Sprachtest mit den 50-jährigen SchweizerInnen durchführen? Es wäre spannend zu sehen, wer denn die geschriebene Sprache tatsächlich «beherrscht».

2. Jedes Kind besucht die Schule – und respektiert die Regeln – Die Teilnahme am Unterricht verhilft allen Kindern zu einem guten Start in Gesellschaft und Arbeitswelt. Schulprogramm und Schuldordnung sind für alle verbindlich. Lehrpersonen geniessen besonderen Respekt.
Damit bin ich tatsächlich weitestgehend einverstanden.

3. Jeder nimmt am Schweizer Alltag teil – Wie, wo und auf welche Weise man sein tägliches Leben gestaltet bleibt jedem selbst überlassen. Die Schweiz toleriert jedoch keine Absonderung in Gruppen, die geltendes Recht missachten, beugen oder verhöhnen.
Darum haben wir unsere Autos alle auf maximal 120 km/h plombiert, alles andere wäre eine Verhöhung des geltenden Rechtes. Come on, dieser Punkt wäre an Lächerlichkeit nur noch durch das Einfügen von Majestätsbeleidigung zu toppen gewesen.

4. Jeder verteidigt die Freiheit – Die Freiheit des Individuums ist ein ebenso hohes Gut wie die Freiheit des Landes – beide sind nur dann gesichert, wenn sich jeder Einzelne für sie einsetzt.
So langsam werdet ihr pathetisch, oder? Aber zum Thema: Ich kann mich noch erinnern, wie wir alle zusammenstanden, als es darum ging die Freiheit einer gewissen religiösen Gruppe zu verteidigen. Darum darf sie auch heute noch überall Türmchen bauen. Oder wie war das damals? Und ich hofffe stark, dass ihr euch auch in Zukunft für die Freiheit des Individuums einsetzen werdet, wenn es um Privatsphäre geht.

5. Jeder sorgt für sich selbst – Alle erwachsenen Bürger der Schweiz sorgen selber für ihre Existenz. Der Staat betreibt soziale Einrichtungen für die, denen das ohne Hilfe nicht gelingt.
Und morgen streichen wir sämtliche Direktzahlungen an den landwirschaftlichen Sektor. Die sollen sich mal ein bisschen Mühe geben! Oder ist das was anderes?

Die Normen
1. Man zeigt sein Gesicht
Ehrlich gesagt habe ich bis heute in der Schweiz noch keine Person kennengelernt, die mir ihr Gesicht nicht gezeigt hätte. Dieser Punkt ist überflüssig.

2. Man reicht einander bei der Begrüssung und zum Abschied die Hand
Ich kenne selber Leute, die das nicht gerne mögen (nicht aus religiösen Gründen)… soll man die nun dazu zwingen, weil es bei uns die Gewohnheit verlangt? Und wenn ja, greift man damit nicht in die persönliche Freiheit ein?

3. Man behandelt Amtspersonen, ob Mann oder Frau, korrekt und mit Respekt.
Das Wort Amtsperson ist bereits neutral, eine zusätzliche Betonung der Geschlechtsneutralität deshalb unnötig. Grundsätzlich ist der Punkt aber in Ordnung.

4. Man hält Ordnung, Ehrlichkeit und Anstand hoch.
Auch das geht in Ordnung. Wenn ich aber an die Steuererklärung denke, dürfte so manch einer den Punkt «Ehrlichkeit» grosszügig auslegen…

5. Man trägt Konflikte aus anderen Ländern und Kulturen nicht in die Schweiz.
Und darum hat der Blick eine mehrtägige intensive Auseinandersetzung mit der Türkei gehabt? Hat man damit den Konflikt nicht noch zusätzlich befeuert?

So, das wär’s. Ich verstehe nicht ganz, was der Blick mit diesem Vertrag erreichen will. Biedert er sich einfach zur Abwechslung mal wieder rechts aussen an? Und dann natürlich noch das Genderthema: Wenn man sich schon so für die Gleichstellung der Geschlechter stark machen will, sollte man vielleicht auf das generische Maskulinum verzichten. Am Ende habe ich einfach den Eindruck, dass praktisch kein einziger Schweizer diesen Vertrag unterschreiben könnte, ohne dass er zugeben müsste, den einen oder anderen Punkt schon verletzt zu haben. Wie nennen wir das? Zuerst vor dem eigenen Rütli wischen, oder so.

 

I want to believe – oder eben nicht

Der Spruch ist kein Zufall: In den 1990ern war ich wie Viele meines Alters ein Fan der X-Files. Scully und Mulder sind für mich Legenden, die beiden Schauspieler sowieso. (Toll in Californication und Hannibal) Aber das sollte ja nur der Einstieg werden. Den wer die Serie kennt, kennt auch das Poster, das bei Fox Mulder an der Bürowand hing. I want to believe stand da drauf. Und mir ging es damals ja selbst ein bisschen so. Ich wollte die abstrusesten Dinge glauben, die einem da aufgetischt wurden. Im Abspann stand ja auch immer, die Erfolgsserie sei von wahren Ereignissen inspiriert. So ist es auch mit den Verschwörungstheorien, die uns tagtäglich um die Ohren gehauen werden. Das wäre nicht schlimm, würden wir filtern und darüber grinsen. Cool, was da wieder jemandem eingefallen ist. Ja, darüber könnte man einen tollen Film machen. Vielleicht eine (abermalige) Fortsetzung der X-Files zum Beispiel. Aber das Zeug für bare Münze nehmen? No thanks.

Es passiert mir momentan täglich, dass irgendjemand findet, «den Medien» könne man ja sowieso nicht glauben. Da hakt es bei mir natürlich nur schon beim Begriff «die Medien» ziemlich mächtig. Die Medienlandschaft der Schweiz ist nun wirklich nicht mehr die heterogenste. In Luzern führte die Entwicklung die letzten 30 Jahre über von 3 Tageszeitung zu einer, die irgendwie auch keine mehr ist. Trotzdem gibt es verschiedene Verlagshäuser, die sich gerne die Primeurs vor der Nase wegschnappen. Die AZ-Gruppe, Tamedia, die NZZ-Gruppe und Ringier beherrschen den Markt bei jenen Zeitungen, die noch nicht gratis aufliegen. Dann gibt es noch politisch gefärbte Bezahlzeitungen und -magazine wie die Weltwoche, die BaZ oder auch die WOZ. Alles in allem ein doch recht bunter Kanon, oder? Dazu kommt natürlich die Berichterstattung des dominanten Marktteilnehmers im TV- und Radio-Bereich: SRF. Dazu kämen noch die Agenturen, die den genannten Meldungen zur Verfügung stellen.

Nun meine Fragen zum Thema:

Inwiefern hätte diese deutschschweizer Gruppe aus wichtigen Medienhäusern nun ein Interesse, hinter dicken Stahltüren eine Strategie auszuhecken, um uns mit den genau gleichen News sozusagen fernzusteuern?

Angenommen, es gäbe die immer wieder implizierten Absprachen tatsächlich, in welche Richtung würden sie gehen?

Und vielleicht der zentrale Punkt: Wer würde das ganze steuern?

Zu guter Letzt hätte ich dann gerne auch noch ein paar Beweise für die offenbar als gross angelegte Verschwörung agierende Medienlandschaft. (Ja, das war keine Frage, sondern eine Hausaufgabe, I know)

Meine drei kurzen Thesen:

Die Welt ist nicht bloss schwarz und weiss, aber wir hätten gerne, dass sie es wäre. Einfache Erklärungen sind uns lieb. Sie sind das Erfolgsgeheimnis von Populisten… und «alternativen Medien».

Während von den «Zweiflern» sehr hohe Ansprüche gestellt werden, wenn es um Seriosität und Recherchearbeit von Mainstreammedien geht, glaubt man den «kritischen Medien» nur schon deshalb, weil sie etwas Abweichendes schreiben.

Es ist irgendwie auch ein bisschen cool, die «geheime Wahrheit» über 9/11 zu wissen.

Grundsätzlich bin ich für einen kritischen Umgang mit Informationen. Einfaches Glauben hat die Menschheit noch nie weiter gebracht. Dass man nun aber primär einfach jenen Glauben schenken will, die etwas Anderes als die Mehrheit der Medien berichten, halte ich für eine ziemlich dämliche Strategie. Ich würde behaupten, dass diese «alternativen Medien» weit intransparenter und abhängiger von Geldgebern agieren, als die oben genannten.

Die Welt ist nicht so einfach zu erklären. Und in Zeiten einer weiter fortschreitenden Interdependenz wird sich das auch nicht ändern. Ein Mensch, der offenbar in der Welt einfacher «Tatsachen» lebt, ist der aktuelle US-Präsident. Ein besonders schönes Beispiel waren die geplanten Strafzölle für ausländische Autobauer. Die Deutschen sollen mal lieber in den USA Fabriken bauen, meinte er. BMW konterte mit etwas, was ihm jeweils abgeht: Mit Fakten. Die Bayern sind offenbar der grösste Autoexporteur der USA.

Vielleicht verhält es sich mit den geäusserten Verschwörungstheorien ein bisschen wie mit der Partizipation in einer Demokratie. Ich höre nicht selten, dass die da in Bern oben ja sowieso machen würden, was sie wollten. Dies obwohl wir ein System haben, das eine sehr starke Mitbestimmung am politischen Prozess erlaubt. Kommt dazu, dass wir «die in Bern oben» ja auch noch wählen. Trotzdem fühlen sich viele SchweizerInnen ohnmächtig, was die Mitbestimmung anbelangt. Umgemünzt auf Informationen und Presse würde ich sagen, dass man gerade in einer Welt, in der man fast alles live miterleben kann, was sich so tut, immer weniger das Gefühl erhält, tatsächlich informiert zu sein. Und da liegt es natürlich nahe, nicht dem eigenen beschränkten geistigen Vermögen, sondern einer gezielten Verschwörung die Schuld zu geben. So nach dem Motto: Ich möchte mich ja informieren, werde hier aber nur mit strategisch vorgefertigten Artikeln abgefertigt, mit denen man mich gefügig machen will. (Und ja, ich weiss, wie abstrus das klingt. Es handelt sich um einen Erklärungsversuch)

Ich weiss noch, wie wir Ende der 1990er-Jahre gedacht haben, die Informationslage werde nun für alle besser. Am Anfang wurde sie das vielleicht sogar. Inzwischen ist zwar der Zugang zu Information tatsächlich für sehr viele Menschen einfach geworden. Schwieriger ist nur das, was gerade bei heiklen Informationen sehr weit oben auf der Prioritätenliste stehen sollte: Die Überprüfung der Quellen. Wem können wir glauben, wem nicht? Weshalb sagt jemand das, was er sagt und wieso deckt sich das nicht mit dem, was jemand anderes sagt? Nein, einfacher ist der Umgang mit Information definitiv nicht geworden. Aber wir sollten der Versuchung widerstehen, die Mainstreammedien als ferngesteuert zu betrachten. Weiter sollten wir gerade bei «alternativen Medien» kritisch sein, wenn diese Informationen anderer Medien als unwahr darstellen; besonders natürlich dann, wenn keine offenkundigen Beweise dargelegt werden. Und wir sollten immer dann vorsichtig sein, wenn uns jemand eine einfache Wahrheit erklären will. Meistens ist diese dann weder wahr noch einfach.