Der Integrationsvertrag des Blick

Eigentlich eine tolle Idee, so ein Integrationsvertrag. Wer hier ist, soll sich an geltende Normen halten. Doch wir wollen uns gar nicht lange damit aufhalten, was das denn für Normen sein sollen. Gehen wir doch einfach Punkt für Punkt die Blick-Idee durch.

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Die Rechte
1. Das Schweizer Recht gilt in der Schweiz für alle – Jeder Mensch ist vor dem Gesetz gleich.
Es sei denn, man ist ein superreicher Ausländer… dann ist man möglicherweise etwas gleicher.

2. Das Recht steht über der Religion – Der Glaube ist Privatsache. Die Entscheidung für eine Glaubensrichtung ist freiwillig. Niemand darf aus religiösen Gründen gezwungen werden, etwas zu tun oder zu unterlassen, das er oder sie nicht will.
Und weil Glaube Privatsache ist, zieht der Staat die Steuern für die grössten Kirchen des Landes ein. Und wie war das, als ich in Luzern letzte Woche um 0:45 noch ein Getränk in einer Bar hätte trinken wollen? Das ging nicht… weil am Karfreitag sämtliche Restaurants um 0:30 schliessen müssen.

3. Mann und Frau sind gleichberechtigt – Die Geschlechter haben in allen Belangen die gleichen Rechte und Pflichten. Frauen und Männer werden in der Öffentlichkeit, bei der Arbeit und zuhause mit gleichem Respekt behandelt.
Und darum bekommen Frauen bei uns überall für gleiche Arbeit auch den gleichen Lohn. Nee, leider nicht. Und deshalb hat der Mann bei der Geburt eines Kindes mehrere Wochen Vaterschaftsurlaub. Nee, auch das nicht. Und deshalb leisten die Frauen (mindestens) einen Militärersatzdienst. Nein, das klappt auch nicht. Und im Blick wird die Garderobe oder die Frisur eines Politikers ebenso oft zum Thema, wie das bei einer Frau der Fall ist. Ähm…

4. Jede und jeder geniesst hohe persönliche Freiheit – Jeder darf nach den eigenen Vorstellungen leben, sofern keinem anderen dadurch ein Nachteil entsteht. Niemand wird wegen Herkunft, sexueller Orientierung, Hautfarbe, politischer Gesinnung oder Religion diskriminiert.
Der gute alte Kategorische Imperativ… klingt so logisch, funktioniert aber auch nicht. Dass das Geschlecht in der Aufzählung fehlt, ist wohl kein Zufall. Und wenn man die Aufschreie hört, wenn es jeweils darum geht, gleichgeschlechtliche Paare in der Werbung zu zeigen, funktioniert das noch nicht so recht, oder? Noch schlimmer wäre es natürlich, das Thema in der Schule zu bringen…

5. Alle dürfen über alles reden – Die Schweiz kennt kein Tabu in Worten und Gedanken. Jeder darf über alles mitreden.
Diesen Punkt würde ich am ehesten als realistisch erachten, auch wenn er in etwas holprigem Deutsch daherkommt.

Die Pflichten
1. Jeder beherrscht oder lernt eine Landessprache – Nur wer Deutsch, Französisch, Italienisch oder Rätoromanisch in Wort und Schrift beherrscht, ist in der Lage, am täglichen Leben teilzunehmen.
Einverstanden. Darum müssen sämtliche Mitarbeiter von Banken, Pharmakonzernen und anderen international tätigen Firmen bis Ende Jahr das Land verlassen, wenn sie nur Englisch sprechen. Und mal ehrlich: Sollen wir mal einen Sprachtest mit den 50-jährigen SchweizerInnen durchführen? Es wäre spannend zu sehen, wer denn die geschriebene Sprache tatsächlich «beherrscht».

2. Jedes Kind besucht die Schule – und respektiert die Regeln – Die Teilnahme am Unterricht verhilft allen Kindern zu einem guten Start in Gesellschaft und Arbeitswelt. Schulprogramm und Schuldordnung sind für alle verbindlich. Lehrpersonen geniessen besonderen Respekt.
Damit bin ich tatsächlich weitestgehend einverstanden.

3. Jeder nimmt am Schweizer Alltag teil – Wie, wo und auf welche Weise man sein tägliches Leben gestaltet bleibt jedem selbst überlassen. Die Schweiz toleriert jedoch keine Absonderung in Gruppen, die geltendes Recht missachten, beugen oder verhöhnen.
Darum haben wir unsere Autos alle auf maximal 120 km/h plombiert, alles andere wäre eine Verhöhung des geltenden Rechtes. Come on, dieser Punkt wäre an Lächerlichkeit nur noch durch das Einfügen von Majestätsbeleidigung zu toppen gewesen.

4. Jeder verteidigt die Freiheit – Die Freiheit des Individuums ist ein ebenso hohes Gut wie die Freiheit des Landes – beide sind nur dann gesichert, wenn sich jeder Einzelne für sie einsetzt.
So langsam werdet ihr pathetisch, oder? Aber zum Thema: Ich kann mich noch erinnern, wie wir alle zusammenstanden, als es darum ging die Freiheit einer gewissen religiösen Gruppe zu verteidigen. Darum darf sie auch heute noch überall Türmchen bauen. Oder wie war das damals? Und ich hofffe stark, dass ihr euch auch in Zukunft für die Freiheit des Individuums einsetzen werdet, wenn es um Privatsphäre geht.

5. Jeder sorgt für sich selbst – Alle erwachsenen Bürger der Schweiz sorgen selber für ihre Existenz. Der Staat betreibt soziale Einrichtungen für die, denen das ohne Hilfe nicht gelingt.
Und morgen streichen wir sämtliche Direktzahlungen an den landwirschaftlichen Sektor. Die sollen sich mal ein bisschen Mühe geben! Oder ist das was anderes?

Die Normen
1. Man zeigt sein Gesicht
Ehrlich gesagt habe ich bis heute in der Schweiz noch keine Person kennengelernt, die mir ihr Gesicht nicht gezeigt hätte. Dieser Punkt ist überflüssig.

2. Man reicht einander bei der Begrüssung und zum Abschied die Hand
Ich kenne selber Leute, die das nicht gerne mögen (nicht aus religiösen Gründen)… soll man die nun dazu zwingen, weil es bei uns die Gewohnheit verlangt? Und wenn ja, greift man damit nicht in die persönliche Freiheit ein?

3. Man behandelt Amtspersonen, ob Mann oder Frau, korrekt und mit Respekt.
Das Wort Amtsperson ist bereits neutral, eine zusätzliche Betonung der Geschlechtsneutralität deshalb unnötig. Grundsätzlich ist der Punkt aber in Ordnung.

4. Man hält Ordnung, Ehrlichkeit und Anstand hoch.
Auch das geht in Ordnung. Wenn ich aber an die Steuererklärung denke, dürfte so manch einer den Punkt «Ehrlichkeit» grosszügig auslegen…

5. Man trägt Konflikte aus anderen Ländern und Kulturen nicht in die Schweiz.
Und darum hat der Blick eine mehrtägige intensive Auseinandersetzung mit der Türkei gehabt? Hat man damit den Konflikt nicht noch zusätzlich befeuert?

So, das wär’s. Ich verstehe nicht ganz, was der Blick mit diesem Vertrag erreichen will. Biedert er sich einfach zur Abwechslung mal wieder rechts aussen an? Und dann natürlich noch das Genderthema: Wenn man sich schon so für die Gleichstellung der Geschlechter stark machen will, sollte man vielleicht auf das generische Maskulinum verzichten. Am Ende habe ich einfach den Eindruck, dass praktisch kein einziger Schweizer diesen Vertrag unterschreiben könnte, ohne dass er zugeben müsste, den einen oder anderen Punkt schon verletzt zu haben. Wie nennen wir das? Zuerst vor dem eigenen Rütli wischen, oder so.

 

Sind wir nicht ein bisschen spät dran?

Es ist grossartig, wie sich rund um den Erdball (vor allem) Frauen gegen die Präsidentschaft Trumps auflehnen. Erstaunlich, wie viele Menschen sich mobilisieren lassen. Auch das Video aus Mexico, das schon im September aufgezeichnet wurde, ist toll. Roger Waters meinte vorgestern «The Resistance» beginne jetzt. Schön und gut… aber sind wir nicht alle einfach ein bisschen zu spät dran?

Warten auf Michelle?

Barack Obama selbst hat zwar schon abgewunken… aber wenn ich die ungebremste Sympathie ihr gegenüber so sehe, habe ich doch noch Hoffnung, dass sie es eines Tages versuchen wird. Ich sähe Michelle Obama jedenfalls gerne als US-Präsidentin. Aber vielleicht schaffen es die Demokraten nun bis 2020, einen anderen Kandidaten aufzutreiben, der eine zweite Trump-Amtszeit irgendwie verhindert…

Housewifes of ISIS – Darf man lachen?

Inzwischen haben wir es alle gesehen, dieses Trailervideo von BBC, oder?

Darf man nun darüber lachen? Natürlich darf man das, wenn man es lustig findet. Dann soll man sogar lachen, finde jedenfalls ich. Denn wenn wir uns über solche Dinge nicht mehr lustig machen dürfen, haben die Extremisten bereits gewonnen. Im Idealfall käme eine solche Satire nicht aus der Küche der BBC, sondern aus «den eigenen Reihen». Das ist natürlich mehr als nur Wunschdenken, aber zum Jahresanfang darf man ja noch ein paar Wünsche haben. 😉

Achselzucken & Hyperventilieren

In Syrien werden seit Monaten tausende Menschen massakriert oder verrecken zu Hunderten auf der Flucht – und medienmässig herrscht selbst angesichts der Tragödie von Aleppo Achselzucken. Obwohl der Westen dort seinen Part spielt. Kaum fährt ein Laster in Berlin in einen Weihnachtsmarkt ist Hyperventilieren, Sondersendung und Best of Terror in Europe-Rückblick angesagt. Nicht ohne die permanente Mahnung loszuwerden, dass es noch zu früh für Spekulationen sei. Versteht mich nicht falsch. Die neun toten Berliner tun mir herzlich Leid. Aber so eine Gleichgültigkeit einerseits und dann diese Überbetroffenheit andererseits ist kaum zu ertragen. Krieg ist offenbar nur dann berichtenswert, wenn er nationale Emotionen bedient. Goodbye Newsberichterstattung bis auf weiteres. Ich werd mich einem Nachrichten fernen Zeitvertreib zuwenden, bis die Heimatfront sich wieder beruhigt hat.

Hansi Voigt, Medienprofi gestern Abend via Facebook.

Man könnte spotten und sagen, dass gerade er als Medienmensch die Sache mit dem Nachrichtenwert bestens kennen sollte. Und das tut er ganz bestimmt. Aber er hat trotzdem recht.

Natürlich berühren traurige Nachrichten noch stärker, wenn sie das nähere oder sogar nächste Umfeld betreffen. Und doch: Wir sollten die Relationen wahren. Wir sollten begreifen, was da in Syrien wirklich abgeht. Während bei uns ein schrecklicher Anschlag den Alltag unterbricht und zum Nachdenken anregt, ist der Terror, ist der Krieg dort Alltag.

Und ja, man sollte wohl vor Ort helfen, wie das die rechten Kräfte jeweils feststellen, wenn die Flüchtlinge an der Grenze stehen. Vorher tut man lieber gar nichts. Aber es bleibt die Frage, wie man das tun könnte. Darauf habe ich keine Antwort. Denn von den Grossmächten ist nur Russland wirklich aktiv und das in einer höchst zweifelhaften Art.

Wie kann man diese verlogenen Idioten wählen?

Nein, der Titel ist nicht nett. Soll er auch nicht sein. Denn sie sind es auch nicht. Wer? Jene Politiker, die wir Schweizer mit langsam aber sicher beunruhigender Regelmässigkeit zu über 30% ins Parlament wählen. Die grösste Partei der Schweiz. Jene, die vorgibt, sich für unsere Werte einzusetzen. Jene, die sagt, sie habe Lösungen für Probleme, die Andere nicht einmal ansprechen würden. Jene, die auch mal ohne Hemmungen Stimmung gegen Ausländer macht. Jene, die sich auch mit einer klaren Mitte-Rechts-Mehrheit im Parlament von einer eingebildeten «Elite» regiert fühlt. Genau diese Partei führt ihre Wähler nun derart offensichtlich an der Nase herum, dass dieser Titel schlicht gerechtfertigt ist.

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Nein, der Blick ist nicht meine bevorzugte Quelle. Aber: Hier wird Klartext gesprochen, also so, dass der selbst der geneigte SVP-Wähler merken könnte, dass er verarscht wurde. Nur ein Jahr nach der Reise in den Tessin und der Kampagne, man wolle die Grenzen mit mehr Personal sicherer machen, kommt nun der Rückzieher. Und natürlich ist auch der Schluss von Halbeis richtig: Die SVP-Politelite wird am lautetsten bellen, wenn es dann wieder opportun ist.

Einen ähnlichen Trick wendet man ja in der Flüchtlingsthematik auch in einem anderen Bereich an. Als die Menge an Flüchtenden zunahm, war die SVP bemüht zu sagen, man müsse eben vor Ort helfen. Das klingt plausibel. Schliesslich muss sich jemand, dem es dort wo er lebt gut geht, gar nicht erst auf die Flucht machen. Unglaublich logisch. Aber wer ist in der sich anbahnenden Debatte nun wieder für eine Senkung der Ausgaben für Entwicklungshilfe? Natürlich die Lautsprecher der SVP. Hilfe vor Ort war und wird nie etwas sein, was diese Partei wirklich will.

Diese Partei will nur eines: Macht. Die Ängste der Bevölkerung sind ihr so egal, wie sie es den anderen Parteien stets vorwirft. Aber sie nutzt die Ängste gern, um bei Wahlen und Abstimmungen zu punkten. Die Elite, die sie andernorts wittert, ist sie häufig selbst. Sie kümmert sich nicht um Lösungen, sabotiert jene der anderen Parteien bei jeder Gelegenheit.

Es wäre also schlau, wenn ihr diese verlogene Partei nicht mehr wählen würdet. Merci.

Tja

Also… so richtig unquatschig war das jetzt nicht, liebe US-amerikanische Freunde. Mal schauen, was daraus wird.

Aber vielleicht hat nun einfach die Wartezeit auf Michelle Obama begonnen.

It’s so even – aka macht keinen Quatsch!

In den vergangenen Tagen gab es immer wieder Menschen, die meinten, die US-Amerikaner hätten die Wahl zwischen Pest und Cholera. Nicht nur wenn man dieses Video anschaut, müsste klar werden, dass dem auf keinen Fall so ist.

Verhüllungsdiskussion

Standardsätze in Verhüllungsdiskussionen:
Die sollen sich anpassen.

Wenn wir in der Türkei eine Moschee besuchen wollen, müssen sich unsere Frauen verschleiern.
Die Frauenrechte werden durch ein Verbot der Vollverschleierung gestärkt.

Es ist eine schwierige Diskussion. Und ich möchte gleich zu Beginn dieses Posts klar sagen, dass ich alles andere denn ein Fan dieser Verhüllung bin. Wenn es nach mir geht, soll sich jeder und jede so anziehen können, wie es ihm oder ihr gefällt. Aber schon dieser Satz führt natürlich zum ersten Widerspruch. Was, wenn eine Frau diese totale Verhüllung wirklich will? Was, wenn sie bei Nichtbefolgung des Gebots ihres Mannes oder möglicherweise eines sonstwie autoritären Organs bestraft wird? Was, wenn sie sich ohne die Verhüllung unwohl fühlt?

Ist es nicht irgendwie arrogant, unsere Bekleidungskultur einfach über alle anderen zu stellen und sie zur Normalität zu erklären? Und vor allem: Hilft es dem Diskurs mit und letztlich der Integration von diesen Gruppen, wenn wir Verbote aussprechen? Und – damit wird ernsthaft argumentiert – verhindern wir damit irgendwelche Terroranschläge?

Es braucht wohl keine komplizierten Gedankengänge, um zu verstehen, dass wir den erklärten Zweck mit einem Verbot nicht erreichen werden. Das führt mich zu einem kurzen, leicht bösartigen Zwischengedanken: Ist der wahre Zweck eines Verhüllungsverbotes für das Gesicht nicht ein anderer? Stört uns nicht schlicht die gut sichtbare Andersartigkeit jener Menschen, die sich dann eben so verhüllen? Ich habe schon oft erlebt, dass sich Menschen über orthodoxe Juden lustig gemacht haben. Die sollen doch diese doofen Zöpfe abschneiden. Und überhaupt, was sollen diese komischen Hüte? Dass unsere Klosterfrauen und Mönche ebenso eine Uniform tragen, wird da gerne vernachlässigt. Auch, dass man noch vor 25 Jahren viele Bauernfrauen mit Kopftüchern auf den Feldern sah. Obwohl wir so gerne Offenheit propagieren frage ich also: Sind wir es denn wirklich? Oder sind wir nur gegenüber jenen offen, die so sind wie wir? Könnte es nicht sein, dass sich die Verbotsforderer einfach generell an der immer reisefreudiger werdenden arabischen Welt stören? Ist der Zweck nicht einfach simpel jener, dass diese Menschen nicht mehr zu uns kommen, damit wir sie nicht mehr anschauen müssen, da sie ja so ganz anders sind als wir?

Ich gestehe, das sind Unterstellungen niederer Absichten. Aber ich habe in den letzten Jahren so viel an solchem Gedankengut erlebt, dass mich nichts mehr überraschen würde. Auch nicht von Linken und auch nicht von einer Mehrheit der Bevölkerung bei einer Abstimmung.

Es verwirrt mich halt auch, dass gerade jene sich so vehement für die «Rechte der Frau» einsetzen, die Frauen am liebsten am Herd oder dann in Bikinis sehen. Es sind jene Männer, die sich früher bestimmt auch gegen das Frauenstimmrecht eingesetzt hätten und heute gegen die bösen Feministinnen wettern. Dass sicher gerade sie für die Frauenrechte einsetzen, mag ich nicht wirklich glauben.

Es verwirrt mich weiter, dass sich immer mehr Linke der offenbar populären Meinung, man müsse die Vollverschleierung verbieten anschliessen. Ich denke aber, dass dies schlicht damit zu tun hat, dass sich jene Exponenten für neue Wählerschichten wählbar machen möchten.

Nun mag mancher sich fragen, wie lösen wir denn nun dieses Problem? Ich frage gerne zurück: Welches Problem? Ist es nicht eine Errungenschaft der letzten Jahre, dass Menschen aus jenen Ländern zu uns reisen? Ist es nicht unsere einmalige Chance, ihnen unsere Offenheit, unsere liberalen Werte, ja schlicht unseren Lebenstil zu zeigen? Und wenn wir ein Interesse daran haben, dass sie ein bisschen mehr werden wie wir… ist das nicht genau dann am wahrscheinlichsten, wenn wir sie hier und jetzt mit Argumenten überzeugen? Wenn Offenheit und liberales Gedankengut unsere Stärken sind, wie kann dann gerade ein Verbot, das individuelle Freiheit einschränkt diese Dinge verbreiten helfen?

They who can give up essential liberty to obtain a little temporary safety, deserve neither liberty nor safety.

Ja, das über 200 Jahre alte Zitat von Benjamin Franklin mal wieder. Manche Dinge ändern sich eben nicht. Und ich möchte jeden Verbotsforderer dazu auffordern, sich zu überlegen, was er mit dem Verbot wirklich erreichen möchte. Dann sollte er sich die Folgefrage stellen, ob das Verbot zur Erreichung des Ziels wirklich förderlich ist. So wie ich es sehe, bewirkten wir mit einem Verbot der Verhüllung genau das Gegenteil. Wir zeigen einmal mehr unsere kulturimperialistische Seite, die ganz bestimmt nicht zur Verbreitung des westlichen Lebensstils beitragen wird. Ebenso wie bei Diskussionen über das Judentum ist auch beim Islam Kritik erlaubt. Es gibt keinen Grund, die massiv einseitigen Kleidervorschriften oder andere Regeln dieser Religion nicht zu kritisieren. Bereits gibt es ja auch innerhalb der durchaus heterogenen Gemeinschaft durchaus Strömungen, die sich gegen den Zwang zur Verhüllung der Frauenköpfe einsetzt.

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I decided to stand by my niece and wear the hijab because the truth is I don’t want anyone to take my freedoms away from me. I can’t be indifferent to the violation of freedoms of half of my people.

Unter dem Hashtag #MenInHijab finden sich iranische Männer, die im Kopftuch neben ihren Frauen (oder eben Nichten) stehen. Die Frauen zeigen dabei ihre Haare. Es ist also nicht so, dass es innerhalb jener Kultur keine Diskussion und keine Auflehnung gäbe. Denn ein solcher Akt ist in einem Land wie dem Iran, wo das Kopftuch für die Frau Vorschrift ist schon ziemlich mutig. Er dürfte aber auf die muslimische Welt einen viel grösseren Effekt in die «richtige» Richtung haben, als ein Verbot der Verhüllung bei uns. Dieses quasi selbstentdeckte oder sogar selbsterkämpfte Freiheit ist viel mehr wert als jene, die wir in Form eines Verbotes aufzuzwingen versuchen. (Ignorierend, dass ein Verbot wohl in den seltensten Fällen Garant für Freiheit ist)

Ja… können wir nun also gar nichts tun, um gegen die Verhüllung der Gesichter der Frauen vorzugehen. Ehrlich gesagt glaube ich, dass unsere Mittel, die wirklich nachhaltig einen guten Effekt hätten sehr beschränkt sind. Aber, es gibt sie doch. Ich kann mich erinnern, wie ich im Hotellift in Istanbul auf dem Weg zum Zmorge ein Paar aus dem arabischen Raum angelächelt hatte. Als mein Lächeln erwidert wurde, fragte ich (natürlich den Mann…) woher sie denn kommen würden. Etwas überrascht antwortete er freundlich, dass sie aus Saudi Arabien angereist seien und nun Istanbul erkunden würden. Und, was soll dieses Smalltalk-Minigespräch nun gebracht haben? Wahrscheinlich nichts. Aber ich glaube, nur wenn wir ohne Groll und negative Vorurteile auf diese Menschen zugehen, haben wir eine Chance, unsere Offenheit auf sie zu übertragen. Natürlich ist das Gutmenschenlogik at its best. Aber seien wir ehrlich, welche anderen Mittel versprechen ernsthafte Aussicht auf Erfolg? Eben. Mit Verboten werden wir nichts erreichen ausser negative und kontraproduktive Effekte. Mit Freundlichkeit, Offenheit und Gesprächsbereitschaft haben wir die Chance, bei den Menschen, die hierher kommen, etwas zu ändern. Nutzen wir sie.

Fazit: Ich bin der liberalen Überzeugung, dass es schlecht ist, wenn Frauen ihr Gesicht oder auch nur schon ihre Haare verhüllen müssen. Ich bin aber auch der Überzeugung, dass ein Verbot des entsprechenden Kleidungsstück in höchstem Masse unliberal, kontraproduktiv und arrogant ist.

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Noch ein paar Worte zu den eingangs eingeworfenen Standardsätzen:

Die sollen sich anpassen. An was genau sollen sie sich anpassen? An unsere Offenheit, unsere individuelle Freiheiten, unser liberales Gedankengut? Und diese Anpassung wollen wir mit einem Verbot erreichen? I don’t think so. Verordnete Anpassung bringt rein gar nichts.

Wenn wir in der Türkei eine Moschee besuchen wollen, müssen sich unsere Frauen verschleiern. Korrekt. Und wenn ich im Vatikan den Petersdom besuche, sollten Schultern und Knie bedeckt sein. What’s the fuckin› difference?

Die Frauenrechte werden durch ein Verbot der Vollverschleierung gestärkt. Wenn es so einfach wäre. Ich stelle eine Gegenfrage: Verschlechtert ein Kopftuchgebot im Iran (auch für Besucherinnen aus dem Westen) die Frauenrechte hier? Eben.