Der Fluch der Leserkommentare

Eigentlich ist die Situation ja grossartig: Wir alle können die grossen Medien online nicht nur lesen, nein, wir können uns auch selbst noch mitteilen. Selbst wenn bei den klassischen Printhäusern nur kleine Artikel oder nur Teile davon ins Netz gestellt werden, so reicht es doch, um sich ein wenig einen Überblick zu verschaffen. Und wer dann meint, er hätte zum jeweiligen Thema selbst noch etwas zu sagen, kann das in den Kommentaren tun. Das funktioniert in der Schweiz auf allen Online-Auftritten der Printmedien. Selbst bei der Weltwoche gibt es diese Möglichkeit. Bei der WOZ bin ich mir nicht sicher, weil ich da kein Abo habe. Denn nur wer ein Abo hat, kann sich da überhaupt erst einloggen. Ein bisschen Web 1.0, liebe WOZ.

Aber zurück zu den Kommentaren generell. Man sollte nicht dem Fehlurteil erliegen, dass man da einen repräsentativen Ausdruck der Gefühle im «Volk» lesen kann. Denn die meisten Kommentarfelder werden offenbar von jenen Zeitgenossen ausgefüllt, die mit dem Geschriebenen im zugehörigen Artikel überhaupt nicht einverstanden sind. Dadurch entsteht meist ein eher verzerrtes Bild.

Darum verstehe ich die Kommentare eher wie ein Mithören am Stammtisch in der Beiz. Da werden Pauschalurteile gewälzt und einfache Lösungen in bierseeliger Laune präsentiert. Nicht selten wird dabei einfach mal das ganze Rechtssystem ausgeblendet. So getreu dem Motto «Wir wüssten ja schon wie» und «Man müsste halt mal…». Die Schuldigen sind wahlweise «die in Bern oben», die «Abzocker», die «Ausländer» oder auch «die Medien».

screen-capture-1855Trotz Kontrollen schaffen es auch immer mal wieder solche Kommentare auf die Seiten. Gerade bei den «sogenannten Fussballfans», die auch gerne als Sündenböcke herhalten müssen, ist man unzimperlich. Auf meinen Tipp hin verschwand der Kommentar von der Blick.ch-Seite. Immerhin kann er als Aufruf zu einer Gewalttat verstanden werden.

Doch was soll man gegen den Fluch der Onlinekommentare unternehmen? Die Funktion einfach zu streichen wäre wohl kontraproduktiv. Einerseits bringen die Schreiber ja auch Klicks und anderseits gibt es sicher auch Leser, die sich die Kommentare gerne zu Gemüte führen. Eigentlich wollte ich vorschlagen, dass User miese Kommentare einfach rauswählen können. Doch schaut man sich den Screenshot an, so hat bei diesem Kommentar gerade der sehr häufig gedrückte Like-Button dazu geführt, dass er es zu den beliebtesten zwei Kommentaren zu diesem Artikel geschafft hat.

Ich würde trotzdem ein paar Änderungen vorschlagen

  • Kommentare kommentieren. Die Kommentare auf den grossen Medienseiten in der Schweiz würden wahrscheinlich ausreichen, um ein neues Portal zu betreiben, dass sich nur mit dem Kommentieren der Kommentare auseinandersetzt. Doch es würde ja schon reichen, wenn man ab und zu einen Artikel über die ganz besonders blöden Ergrüsse bringen würde. Bitte schön frech und sarkastisch. Watson geht teilweise ja schon ein bisschen in diese Richtung.
  • Längere Kommentare zulassen. Auf Blick Online darf man 400 Zeichen schreiben, bei watson 600 und beim Tagesanzeiger 800. Nur die alte Dame kennt keine Zeichenbeschränkung, wenn ich das richtig verstehe. Ich gehe davon aus, dass die Schimpf-und-Schande-Schreiber, die sich so gar nicht beherrschen können, tendenziell kürzere Kommentare tippen. Ausserdem dienen mehr Zeichen natürlich auch dazu, eine differenziertere Darlegung der jeweiligen Usesrsicht zu erlauben.
  • Rechtschreibung prüfen. Etwas gemein, ich weiss. Aber ich glaube, dass die besonders dummen Kommentare nicht zuletzt auch anhand der schlechten Rechtschreibung zu erkennen sein könnten. Durch eine (automatische?) Rechtschreibeprüfung könnten also ein paar ganz miese Dummheiten rausgefiltert werden.

Was meinen die Onliner dazu?

Ich denke, im Zeitalter der Mitmach-Medien ganz auf die Kommentarfunktion zu verzichten, ist ein No-Go (gell, liebe WOZ). Die Usermeinungen zuerst zu prüfen ist wohl Pflicht, obwohl sich da die ganz extremen Meinungsfreiheits-Junkies schon beschnitten fühlen werden. Ich selbst habe hier mal mit (zum Glück nur) einem User zu kämpfen gehabt, dessen Kommentare ich teilweise löschen musste. Schnell musste ich feststellen, dass es nicht ganz leicht ist, wo man die Schwelle für das Löschen festlegt. So ein bisschen kann ich mir also vorstellen, was da in der Online-Redaktion beim Blick so abgeht, wenn sich täglich 24 Stunden lang irgendwelche Minihassprediger in den Comments verewigen möchten.

5 Antworten auf „Der Fluch der Leserkommentare“

  1. Was meinen die Onliner dazu?

    Dass angeblich seriöse Zeitungen wie die NZZ überhaupt Leserkommentare zulassen, ist lächerlich. Keine Kommentare zulassen ist die einzige Lösung.

    Damit zeigt sich, dass alles, was mal in war, früher oder später wieder zum Trend wird — und die Woz ist damit nicht mehr Web 1.0, sondern plötzlich wieder Web 2015 (oder was immer die aktuelle Versionsnummer ist).

  2. Gar keine Kommentare mehr zulassen, LKM? Die einzig seriöse Online-Zeitung der Schweiz ist damit also die WOZ? Wieso ist es denn so lächerlich, Kommentare überhaupt zuzulassen? Glaubst Du, das Publikum kann nicht unterscheiden, was vom Medium und was von den Usern kommt?

    Janosch, Deine Idee ist nicht schlecht. Bestimmt würden einige ihren Beitrag später nochmals etwas abschwächen oder gar löschen. Andererseits ist diese fast direkte Möglichkeit des Kommentars natürlich auch genau etwas, was das Kommentieren attraktiv macht. Diskussionen mit einer Stunde Zeitverzögerung zu führen, ist wohl eher schwierig. Die Moderation findet ja an den meisten Orten schon dadurch statt, dass die Comments erst geprüft werden. Oder was genau meinst Du mit aktiv? Dass die Redaktion sich selbst an der Diskussion zum jeweiligen Artikel beteiligt?

  3. Glaubst Du, das Publikum kann nicht unterscheiden, was vom Medium und was von den Usern kommt?

    Das glaube ich nicht nur, das ist auch so. Zeitungen, die Kommentare von Lesern zulassen, zeigen einfach, dass ihnen ihr eigener Inhalt — und ihre eigenen Journalisten — einen feuchten Dreck wert sind.

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