tagi-kritik des robbie-concerts

wie versproche liefere ich noch die kritik von tobi müller vom tagesanzeiger. dani hat seine kurzkritik ja für zu nett befunden. in der ausführlicheren version fährt er mit dem popstar schon etwas härter ins gericht.

Das Brandmal des ewigen Boysängers

Seine Kondition schwächelt, die Songs sind manchmal Mittelmass. Und doch hatte Robbie Williams im Berner Stade de Suisse die Menge im Griff. Warum eigentlich?

Wir sparen uns die genaue Anzahl Sattel­schlepper, die Tonnen mechanischen und menschlichen Arbeitsmaterials. Es waren jeweils viele. Auch im Stadion selbst: 40 000 am Mittwoch (vgl. Kurzkritik im TA vom 24. August, Kehrseite), 40 gestern Donnerstag. Am Mittwoch blieb es mild. Bierwetter, Bratwurstwetter, Begeisterungswetter. Aber weil Robbie Williams im Wankdorf spielte, wars auch recht prekäres WC-Riesenschlangenwet­ter. Es kamen zu viele Frauen, um den Mann mit der grössten Annäherung zwi­schen Oberarm und Seitenbauch zu vereh­ren (beides ist ansehnlich breit).

Popkardinal Robert Peter Williams aus Stoke-On-Trent wird der nächste Papst, sollte das mit dem medialisierten Sterben mal zur Tradition gerinnen. So sehr er lacht, so sehr ist sein exzessives Leiden an der Welt öffentlich, auch in den Songs. Am Schluss gabs viel weissen Rauch. Heutzu­tage ist es auch so, dass ein Megakonzert die Voraussehbarkeit des vatikanischen Ostersegens besitzt. Man klickt auf you­tube. com die unzähligen Amateurvideos an, informiert sich in kürzester Zeit über die Songliste und kennt bald jeden Witz.

«Do you feel Wankdorf tonight?»

Zum Glück sind wir nicht so wirklich in­telligent und finden den Witz beim zweiten Mal meistens noch lustiger. Oder auch beim dritten. Einen neuen hatte er noch, der war ortsspezifisch: Wankdorf, Ha! Ein Wanker ist im britischen Englisch ein Wichser, Robbie hat das für uns gestisch übersetzt. «Do you feel Wankdorf to­night? », röhrt Williams zum letzten Mal ins Oval. «Ich auch. Come on, lasst uns zusam­men singen und get the fuck out of here.» Robbie war dann weg, wir standen noch anderthalb Stunden in der Parkplatz­schlange. Wetter und Frisuren hielten.

Trotz Voraussehbarkeit, Vulgarität und oft nur mittelmässigen und gewöhn­lich arrangierten Songs packt Robbie Williams die Masse. Sein Produzent Ste­phen Duffy führt die Band und zwei wei­tere Gitarristen solid an, fünf Soulsänge­rinnen und -sänger erübrigen virtuose Gesangsleistungen des Stars, die Licht­und Videoshow bietet kaum Auffälliges. Und wenn Kumpel John Wilkes mit Rob­bie eine Swingnummer singt («Me and my Shadow»), mit Fussballkickereien die «dicksten Balls» eruieren will und kurz die Bee Gees veräppelt, gibts auch kei­nen Grund zur Ekstase. Es gibt nur eines, und dies trotz angeblicher und schon in andern Städten erzählten Fitspritze: ein Es namens Robbie Williams, sein trieb­haftes Charisma, seine schillernde Büh­nenfigur.

Und es gibt drei-, viermal ganz smarte, mal schön primitive kleine Popstücke, klar. «Rock DJ» pumpt früh den Klubbeat – das berühmte Video bringts aber doch mehr; «Advertising Space» vom aktuellen Album zeigt auch live, wie dieser Song jede Sekunde halten kann; «Feel» ist ein perfider Ohrwurm, das Wankdorf ganz in Rot getaucht. Der Rest reisst musikalisch nicht aus den Socken, ausser «Angels». Aber das ist ein Überhit, die Top Ten der Beerdigungsmusik können nicht lügen. Warum dieser Ausnahmewicht trotz­dem packt, hat vielleicht mehr mit seiner Vergangenheit zu tun, als ihm lieb ist. Für seine Zeit in der britischen Boygroup Take That hat Robbie Williams meistens nur ätzende Ironie übrig. Oder gar Hass. Wil­liams war dort ab 1990 fünf Jahre lang bes­tenfalls die Nummer 2, wurde im Rampen­licht erst recht nicht erwachsen und wachte mit 21 bereits als körperliches wie seelisches Wrack aus dem Alptraum auf. Robbie Williams, das sei doch dieser fette Tänzer von Take That, unkten die Kolle­gen von Oasis.

Niemand hatte ihm die Solokarriere zu­getraut. Doch trotz dem Erfolg des begna­deten Alleinunterhalters liegen keine Wel­ten zwischen der bübischen Synthetik von Take That und dem jungenhaften Charme Marke Robbie Williams. Gerade in der for­schen Abgrenzung von der Vergangenheit erscheint diese umso klarer in der Gegen­wart. Auch am Mittwoch in Bern. Robbie ist ein Boysänger geblieben. Er tanzt bloss we­niger. Und er ist viel, viel besser als seine alten Kollegen.

Ein bisschen Ironie

Der Star scheint diese biografische Wahrheit neuerdings anzupacken, wie er alles andere auch anpackt: mit Ironie, zu­mindest ein bisschen. Nachdem er, wie im­ mer auf seiner Tournee, zwei junge Schön­heiten an der Bühnenrampe anflirtet, fragt er sie: «Kennt ihr Take That? Wisst ihr, wer ich bin?» Dann äfft er affige Tanzschritte nach, singt ohne Begleitung ein paar alte Refrains. Und bringt dann doch mit Band und Bombast «Back for Good» zur Auffüh­rung, den Take-That-Hit von einst.

Die Pauschaldiagnose, Ironie sei von gestern, Innerlichkeit und Engagement aber wieder von heute, fällt beim grössten Popprodukt Grossbritanniens in sich zu­sammen. Robbie sagts sinngemäss, jeweils mit einem fiesen Lächeln und Mitleid er­heischenden Augen: Scheisse, ich bin ein Popstar, kein Seelentherapeut und auch kein Leistungsprediger. Die erste Zugabe am Ende von knapp zwei Stunden Robbie­ Revue liess daran noch nie einen Zweifel: «Let me Entertain You».

Für die Zugaben stand der Popheld im Adidas-Kostüm auf der Bühne. Madonna trägt jeweils Gaultier oder Westwood, aber das steht nicht auf den Dingern drauf und wirkt deshalb weniger marktobszön. Die drei Streifen, auch Zeichen von Elektro und Hiphop der Achtzigerjahre, werben für Robbies neues Video zu «Rudebox». Das Album erscheint im Oktober, die street­smarte Single klingt einfallsloser als man­cher Take-That-Track. Es war, kurz vor «Angels», wie eine böse Ahnung vom Ende. Wär da nur nicht dieses Grinsen, das immer dasselbe sagt. Fuck you, ich liebe euch.

Eine Antwort auf „tagi-kritik des robbie-concerts“

  1. Typisch Tagi
    Genau so hab ich mir die Tagi-Kritik vorgestellt…(habe ja nur fairheitshalber vernichtende Worte gewünscht, da ich mich ja mit einem Tagi-Kritiker anlässlich des Jamie Cullum Konzerts angelegt habe…)
    Habs heute zufällig mit einem Marketing-Guru besprochen: Gewisse Journalisten sind so verdammt elitär, dass sie die Prämisse «Erfolg gleich Massengeschmack gleich schlecht» so sehr verinnerlicht haben, dass die nur die «hohen Künste» (die zwar zugegebenermassen wirklich hoch einzuschätzen sind, aber dennoch die Massen nicht zu begeistern mögen) loben, alles Poppige jedoch schlechtmachen…
    Ich sehe dann vor mir immer gescheiterte Musiker hinter ihrem Laptop, die den Stars den Erfolg nicht gönnen, weils sie, die ihn ja verdient hätten, ihn niemals hatten…und weil ja alle den Robbie/Jamie schon in höchsten Tönen loben, bin ich «geiler Siech» mutig genug der Welt mal gehörig meine Meinung zu sagen…wie kreativ….

    Kritiker sollten meiner Meinung den Konzertabend als Gesamteindruck warnehmen, detailliert auf musikalische Inhalte eingehen und sonstige relevante Zusatzinfos+ Highlights hervorheben. (Band spielte so und so, Einsatz von Samples, vor allem der Drummer überzeugte durch geschmackvolle Akkzente in Form von Fills, Robbie intonnierte fürchterlich (siehe Amades Clip vom Back for Good), Lichtshow war grandios, vermochte Massen zu fesseln etc)
    Alles andere kann der Journalist von mir aus bei sich zu Hause an die Wand hängen und sich daran ergötzen, I simply don’t give a shit…..

    (jaja, hab da jetzt vielleicht ein bisschen überreagiert, «Musiker schimpft über die fiesen Journalisten» 😉

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