Die unanständige Mehrheit

Der Essay von Jonas Lüscher, der vorgestern im Tagesanzeiger erschienen ist, spricht so vieles aus, das ich schon längst denke. Eine Kernaussage ist sicher diese hier:

Darf man das sagen, dass die Entscheidung der Mehrheit eine unanständige ist? Ja, man muss sogar. Denn es gehört zum Wesen der Demokratie, dass sich die Mehrheit irren kann.

Die Kommentarspalten unter dem Onlineartikel füllen sich mit den Meinungen eben jener Mehrheit, die sich manchmal irrt. Ich weiss nicht, ob «unanständig» das geeignete Wort ist, um das auszudrücken was gemeint ist. Sicher sind aber die genannten Beispiele dafür perfekt gewählt.

Ausnahmsweise habe ich hier den Volltext reinkopiert. Wenn man den Pfeil klickt, kann man sich Lüschers Aussagen hier ganz genau ansehen. Und das lohnt sich. Ich bin mit jenem Kommentator einig, der meinte, dies sei der beste Text zur Besinnung anlässlich des 1. Augustes. Gerade in einer Zeit, in der unser Bundespräsident die Unabhängigkeit als wichtigstes Gut einschätzt und ein Rhetorik wählt, die einem Kriegsherren gut anstehen würde, ein wahres Wort.

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osama bin laden und das 6. gebot

ok, je nach auslegung geht es um das 5. gebot. aber man kann’s ja auch ausschreiben: Du sollst nicht töten. kurz, knapp und durchaus sinnvoll. nur wer sich des eigenen lebens sicher ist, kann auch seinen alltag ruhig gestalten.

der 2001 nach den anschlägen in den usa durch george w. bush eröffnete krieg gegen den terror hat sich im verständnis vieler längst auch zu einem kampf für das christliche werteverständnis entwickelt. natürlich wird stets die demokratie als ziel bemüht. und doch musste barack obama in seiner rede bezüglich der ermordung bin ladens den allmächtigen einbauen. one nation under god könne eben alles erreichen, so man denn wolle. es scheint so, als habe man ziemlich lange nicht so recht gewollt, aber darauf will ich ja gar nicht hinaus.

aber zuerst noch die heute so wichtige social-media-komponente. ein paar meiner facebook-buddies posten heute zum beispiel folgende dinge:

ein danke schön an die US-Navy Seals..einisch meh hends sies grechtet! hua..

Go America!

beides übrigens statements von schweizern. die begeisterung scheint auch an einigen orten in den usa relativ gross zu sein. und auch in der diplomatischen welt, spart man nicht mit lob ob der ermordung bin ladens. abgesehen von ein paar leuten in gaza und iran scheinen alle restlos begeistert zu sein. sarkozy etwa meint, es handle sich um eine historische niederlage für die plage des terrorismus. ok, «der terrorismus» hat heute also verloren. aber wer hat gewonnen?

haben wir, die wir für demokratie, freiheit, meinungsäusserungsfreiheit, religionsfreiheit einstehen durch die ermordung bin ladens gewonnen? hat die usa, in der die bibel gerne zu jedem zweck zitiert wird, durch die direkte zuwiderhandlung gegen das 6. gebot gewonnen? sollten sie sich nicht eher für diese tat schämen? so lange wir für die freiheit töten, sehe ich «die terroristen» als wahre sieger.

die vernunft verliert – einmal mehr

erwartungsgemäss wird die waffenschutzinitiative abgelehnt. und zwar sehr deutlich. in einer zeit, in der diffuse ängste gezielt geschürt werden, mögen die schweizer ihre waffe nicht abgeben. man könnte sie ja im falle eines falles einsetzen müssen. dass durch die abgabe die eine oder andere familientragödie hätte verhindert werden können, spielt da eine verschwindend kleine rolle. zu simpel ist es da, einfach auf andere möglichkeiten hinzuweisen, die auch zum äussersten führen können. und ein lebensmüder kann sich jederzeit auch vor den zug werfen. klar. dass der zug in der regel nicht durch die stube fährt, wird ausgeblendet.

der entscheid, die waffe weiterhin im hause des soldaten zu lassen, ist unvernünftig. und man begreift wieder mal sehr gut, was churchill gemeint haben könnte, als er seinen ausspruch von der demokratie als beste aller schlechten regierungsformen prägte. das system der mitbestimmung in unserem land ist ganz bestimmt grossartig. ich fände es nur schön, wenn wir damit etwas behutsamer umgingen. wer reine bauchentscheide auf den zettel schreibt oder sich nur von der angst leiten lässt, trägt nicht gerade zur verbesserung der qualität der entscheidungen bei.

um eine vernünftige entscheidung zu fällen, wäre wohl ein mindestmass an information vonnöten. und genau an dieser stelle setzt nun die kritik an die parteien ein. sie haben es verpasst, vor dieser abstimmung in aller deutlichkeit zu informieren. und selbst jene armeeangehörige, die das «obligatorische» realistischerweise als überflüssiges und wenig zweckdienliches relikt abtaten, wurden zu wenig gehört.

nzz online

demokratie? arbeit!

[…] Demokratie mag für uns Westler im Vordergrund stehen – kaum hingegen für die Leute auf den ägyptischen Strassen. Hier geht es nicht um den Wunsch nach freien Wahlen, sondern – aus unserer westlichen Sicht – sehr viel banalerer Dinge wie Arbeit, Rechtsgleichheit und Perspektiven. […]
andré marty in einem schriftlichen interview, das er auch auf seinem blog veröffentlicht hat. übrigens andré: wir vermissen Deinen blog. musste mal gesagt sein.

the day after

für einmal braucht man sich nur anzuschauen, woher der applaus für das ja zu minarettverbotsinitiative kommt. auch wenn das letzte wort wohl noch nicht gesprochen ist, so ist das vom schweizer volk gesetzte zeichen dennoch klar. international wird der entscheid mit verwirrung wahrgenommen. schön ist, dass ein grossteil der arabischen medien den demokratischen entscheid offenbar akzeptiert. in diesem zusammenhang lohnt sich ein zitat des anscheinden berühmtesten tv-predigers im arabischen raum, yusif karadawi:

[…] Kardawi meint aber, dass das Minarett-Verbot von den Muslimen als aggressiver Akt empfunden werde, und dass die Schweizer Muslime nun das Gefühl hätten, von ihrer Gesellschaft zurückgewiesen zu werden.

das sehe ich genau gleich.

aber wie soll man nun reagieren? auf facebook spriessen die gruppen nur so aus dem boden. nicht wenige leute äussern den wunsch, auszuwandern oder zumindest nach basel oder in die liberalere romandie zu zügeln. natürlich sind das zumeist nur sprüche. schlussendlich muss man den demokratischen entscheid akzeptieren. und auch wenn die schweiz mit der gestrigen abstimmung für mich einen grossen teil ihrer liberalen prägung verloren hat, gilt es, den kopf vor lauter enttäuschung nicht in den sand zu stecken. viel wichtiger ist es, weiterhin (oder endlich wieder?) abstimmen zu gehen und auch in zukunft für eine liberale schweiz mit platz und toleranz für alle einzustehen.

ägypten

Die staatliche Textilfabrik in der Deltastadt Mahalla, 120 Kilometer nördlich von Kairo, mit ihren 25’000 Arbeiterinnen und Arbeiter ist zum nationalen Stimmungsbarometer geworden. Seit bald zwei Jahren brodelt es dort. Mit Bonuszahlungen hat die Regierung diesmal einen Streik in der Fabrik in letzter Minute verhindert. Aber die Arbeiter von Mahalla fordern nicht nur mehr Geld, sie wollen freie Gewerkschaften gründen und ihre Grundrechte ausüben dürfen. Dazu gehört auch ungestrafte Kritik am Präsidenten.
[…]

Politische Aktivisten und Mitglieder der ägyptischen Zivilgesellschaft wurden nicht nur eingeschüchtert, sondern viele von ihnen verhaftet – unter ihnen mehrere Blogger und führende Vertreter der Demokratiebewegung «Kifaya» (genug).

aus einem artikel von astrid frefel, ägyptenkorrespondentin des tagesanzeigers 12-4-2008 seite 9

irgendwie hat es ägypten geschafft, dass wir hier in zentraleuropa meinen, es handle sich dabei um ein zivilisiertes, demokratisches land. die unzähligen leute, die ans rote meer in die künstlichen städte sharm el-sheik und hurghada in die ferien fahren, kümmern sich nicht um die bevölkerung. solange das wasser schön blau, die sonnenuntergänge schön rot und die temperaturen schön warm sind, ist alles andere egal. tauchen und die entspannung vom so stressigen leben stehen im mittelpunkt. was kümmert es diese touristen schon, dass vier von zehn ägyptern an oder unter der armutsgrenze leben? das regime mubaraks hat inzwischen längst fast schon totalitäre züge angenommen, von demokratie kann keine rede sein. was soll’s, die sonne scheint…

dankbare kosovaren

Danke/Merci/Grazie/Grazia figt Switzerland !!!
kosovothanksyou.com

Republic of Kosova declares independence.

February 17th 2008, at 15:49 CET

We are honored and humbled that it is our generation that lives to see this day, and we are aware and ready to take up the path that begins from here.

Our future is with Europe.

Thank you from the bottom of our hearts, for standing by us in the worst of times.

In memory of those that gave and lost their lives, and loved ones.

May peace and light prevail.

Kosova is 11 days old.

ebenfalls von kosovothanksyou.com
schöne worte. ich hoffe nur, dass die kosovaren begreifen, dass der minderheitenschutz das vielleicht wichtigste feature einer demokratie ist.