Peter Gabriel – Konzertkritik der NZZ

Ich habe nur etwas zu korrigieren: Markus Ganz hat da nämlich etwas falsch verstanden. Gabriel sagte am Anfang, seine Frau habe ihm gesagt, er solle die Fans warnen, dass der erste Song noch keinen vollständigen Text habe. Deswegen hätte man meinen können, er sei betrunken. Ansonsten trifft die Konzertkritik aus der NZZ ins Schwarze.

Peter Gabriel weiss es – seine Fans kommen heute an seine Konzerte, weil sie seine alten Hits hören wollen. Im Hallenstadion präsentierte der Brite ein Repertoire, in dem das Album «So» im Mittelpunkt stand.

Das Saallicht brennt noch, da geht ein unscheinbarer älterer Herr gemächlich über die Bühne, als müsse er hier vor Konzertbeginn nochmals etwas überprüfen. Dass es sich um Peter Gabriel handelt, wird vielen im Saal erst klar, als dieser sich an den Flügel setzt. Auf Deutsch erklärt er, dass das Konzert nun wie ein Menu aufgebaut sei. Als Vorspeise gebe es einige akustisch gehaltene Stücke, was eher wie eine Probe zu verstehen sei. Das gebe er bekannt, weil ihm dies seine Frau geraten habe – sonst meine man noch, er sei betrunken.

Das meint man aber nicht. Denn feinsinnig interpretiert Gabriel nun das neue Stück «Daddy Long Legs», unterstützt von Tony Levin am Bass. Mit einer noch bröckligen Stimme – die im Laufe des gut zweistündigen Konzertes aber viel an Sicherheit gewinnen wird – sinniert der 64-jährige Engländer über Vergänglichkeit. Es ist eines der wenigen neueren Stücke des Abends und wirkt unfertig und ist vorab als Statement eines Lebenserfahrenen zu verstehen. Peter Gabriel ist sich wie so mancher Rockstar-Veteran bewusst, dass er seine Fans nur noch mit alten Klassikern an ein Konzert locken kann; immerhin 8000 Fans sind ins Hallenstadion gekommen. Er möchte sich indessen nicht mit der möglichst originalgetreuen Reproduktion seiner Solo-Hits begnügen – auf Songs aus seiner Zeit mit Genesis verzichtet er ohnehin.

Dank einem speziellen Ansatz präsentiert er sein Werk in einem neuen Licht und stellt so nicht zuletzt seine anhaltende Kreativität unter Beweis. Vor vier Jahren interpretierte er mit einem Orchester eigene und fremde Hits. An diesem Abend steht nun gleich das gesamte Album «So» aus dem Jahr 1986 im Mittelpunkt des Konzertes. Und Peter Gabriel spielt das Repertoire des Albums, das als eines der prägenden Pop-Werke der 1980er Jahre gilt, mit der originalen Live-Band von damals.

Schon die Stücke davor machen deutlich, dass Peter Gabriel den Wiedererkennungswert der Songs pflegt, diesen aber einen frischen Anstrich verleihen möchte. Dies gelingt ihm nicht zuletzt mit reiner Musikalität, spielen neben Tony Levin doch weitere grossartige Musiker wie David Rhodes, David Sancious und Manu Katché mit. Sie geben beispielsweise dem im Original grellen Stück «Shock The Monkey» eine sanft-verspielte Note. «Digging In The Dirt» hingegen lassen sie mächtig und dunkel zwischen Dub und Trip-Hop grooven. Bei «The Family Fishing Net» verdichten sie die psychedelische Atmosphäre, zumal Peter Gabriel mit verfremdeter Stimme zunehmend theatralisch singt – wie einst bei Genesis.

Bei der integralen Neuinterpretation des Albums «So» wagen die Musiker weniger, was bei Hits wie «Sledgehammer» und «Big Time» auch verständlich ist, die gebührend wuchtig gespielt sein wollen. Songs wie «That Voice Again» oder «We Do What We’re Told» aber hätte ein neues Arrangement gutgetan, denn sie sind nicht zufällig in Vergessenheit geraten. «Mercy Street», das Peter Gabriel auf dem Rücken liegend singt, kommt durch eine zart flirrende Neuinterpretation erst richtig schön zur Geltung; es wirkt wie die Lichtshow bezaubernd stilvoll.

Am meisten Begeisterung lösen aber ältere Hits aus, die nahezu originalgetreu interpretiert werden: das mit «Oh-oh-ohhh»-Rufen aus dem Publikum begrüsste «Solsbury Hill» und «Biko», bei dem Peter Gabriel in der Ansage einen Bezug zu den ermordeten Studenten in Mexiko schafft. Stiller Höhepunkt aber ist der kammermusikalische neue Song «Why Don’t You Show Yourself».

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