Immer wieder Greta (oder doch «Klimahysterie»?)

Wieder so ein Beitrag, der schon seit Monaten in mir schlummert. Ich werde mal versuchen, einigermassen strukturiert zu bleiben.

Der Greta-Effekt
Wir zäumen das Pferd mal von der verkehrten Seite auf und beginnen quasi am Ende. Was hat Greta gebracht? War alles nur Show und hat dem Issue Klimawandel gar nichts gebracht? Ich kann es kurz machen, nein, war es nicht. Die folgende Grafik zeigt, wie sich das Interesse am Thema seit Gretas Aktivität verändert hat:

Google-Suchen-Klimawandel

Der Ausschlag am weltweiten Klimastreiktag ist gemäss diesen Daten deutlich höher als an der doch nicht ganz unwichtigen Klimakonferenz von Paris. Sie hat das Thema also in den Vordergrund gebracht. Und vielleicht hat sie auch all den Desillusionierten ein wenig gezeigt, doch, auch als einzelne, sehr junge Person kann man Dinge bewegen. Wie nachhaltig der Effekt sein wird, wird sich zeigen.

Die Klimahysterie
Von den Gegnern Gretas wird nun gerne von einer Klimahysterie gesprochen. Besonders «schlaue» Köpfe haben sogar schon Baseballcaps mit diesem Schlagwort anfertigen lassen. Es mag auf diese Menschen tatsächlich wie eine Hysterie wirken, weil sie sich dem Thema über Jahrzehnte verschlossen haben. Die Tatsachen sehen ein wenig anders aus. Hier ein Ausschnitt aus der Einführung in die Erklärung von Rio 1992:

UNCED made it plain that we can no longer think of environment and economic and socialdevelopment as isolated fields. In addition to major international treaties and agreements concludedat the Earth Summit on issues of global climate change, biological diversity, deforestation, anddesertification, the Declaration of Rio contains fundamental principles on which nations can base theirfuture decisions and policies, considering the environmental implications of socio-economicdevelopment.

Schon vor 27 Jahren herrschte da also ein Konsens darüber, dass etwas getan werden muss. Die über 350 Seiten lange Agenda 21 (Punkt 9) gibt konkrete Handlungsanweisungen, wie unter anderem gegen den Klimawandel vorgegangen werden soll. Von einer Hysterie, Panikmache oder von einem Trend kann also nicht gesprochen werden. Der Vorteil an diesen Schlagworten ist, dass man sofort erkennt, wer gar nicht über die Sache diskutieren will.

Das Klima und das Wetter
Ja, wir erleben gerade einen relativ kühlen Mai 2019. Und ja, manchmal schneit es sogar im späten Frühling. Solche Phänomene nennt man Wetter. Ein paar kühle Tage im Sommer oder eben eine warme Phase im Winter haben nichts mit einem Nichtstattfinden des Klimawandels zu tun, sondern sind alltägliche Abweichungen des Wetters.

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Die Grafik (von Wikipedia) zeigt die Veränderung der Temperatur seit 1850. Der Temperaturanstieg ist ebenso deutlich sichtbar wie jener der CO2-Emissionen.

Richtig, Temperaturschwankungen hat es ebenfalls schon immer gegeben. Aber: Nicht solche enormen Ausschläge in so kurzer Zeit. Es ist zudem davon auszugehen, dass sich Wetterphänomene wie tropische Stürme (Hurricanes bzw. Zyklone) aufgrund des Klimawandels häufen.

Das Klima und die Austern
Nun könnte man natürlich sagen: «Cool, ich mag warmes Wetter, Flip-Flops an den Füssen und das Faulenzen in der Hängematte im Schatten der Palmen». Der Mensch wird tatsächlich kaum grössere Probleme mit dem generellen Temperaturanstieg haben, die Natur aber sehr wohl. Es gibt viele Beispiele (schmelzende Gletscher, schwindender Permafrost, schmelzende Eisberge), die wir bestens kennen. Ein sprichwörtliches Luxusproblem bahnt sich aber ebenfalls an: Ist das Meer zu warm, gedeihen Krankheitserreger besser, welche die Meeresdelikatesse schlechthin hinwegrafft. Austern sind durch den Klimawandel bedroht. Wer’s lieber kuschlig statt schleimig mag: Auch die Koalas sind durch den Klimawandel bedroht. Die Liste liesse sich fortsetzen, doch geht es vielmehr um das grosse Ganze. Wie eingangs dieses Abschnitts gesagt: Während der Mensch gute Möglichkeiten hat, sich anzupassen, brauchen Flora und Fauna unter Umständen länger oder schaffen es gar nicht.

Aber, was ist mit den anderen Theorien?
Es gibt praktisch zu jeder von Experten vertretenen Theorie eine Gegentheorie, die wiederum von andere Experten gestützt wird. So ist das auch beim Klimawandel. Gerade jene Wissenschaftler, die abweichende Theorien stützen, werden gerne zitiert. Nun ist es aber so, dass (laut NASA) 97% der Wissenschaftler in diesem Bereich den Klimawandel als nicht nur vorhanden, sondern auch menschengemacht verstehen. Theoretisch könnten auch die 3% der Wissenschaftler im Recht sein, die Wahrscheinlichkeit dürfte aber relativ klein sein. Und genau weil mit an Sicherheit sehr nahe grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden muss, dass der Klimawandel menschengemacht ist, sollten wir nun endlich Lösungen suchen. Das haben auch die Wählenden in Europa verstanden:

Europawahl 2019
Eine Steigerung des Anteils der Grünen durch die gerade erfolgte Europawahl 2019 um immerhin etwas mehr als 2 Prozentpunkte stimmt zuversichtlich.

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Während die Populisten weiter von «Klimahysterie» schreien werden, kann man als halbwegs neutraler Beobachter durchaus zur Ansicht gelangen, dass die Wählenden die Zeichen der Zeit erkannt haben. Die italienische Zeitung Repubblica spricht von einem Greta-Effekt.

Und was hat nun Greta damit zu tun?
Sie ist – gewollt oder nicht – zur Gallionsfigur einer Bewegung geworden, die nicht nur begriffen hat, dass der Klimawandel ein dringliches Problem ist, sondern die auch entsprechende Lösungen fordert. Wenn diese (noch nicht wahlberechtigte) Generation dafür ein paar Schulstunden geschwänzt hat: So fucking what. Schauen wir heute auf Martin Luther Kings legendäre Rede in Washington zurück und reden darüber, wer dafür die Schulstunden verpasste?

Tatsächlich hat es in der Schweiz Fälle gegeben, in denen Lehrer die SchülerInnen quasi zur Teilnahme an solchen Events «gezwungen» haben sollen. Wenn dies stimmt, wäre es natürlich nicht nur falsch, sondern auch schädlich für die Glaubwürdigkeit der Bewegung. Gleichzeitig weiss jeder, der für seine Ideale einstehen will, dass es mit der Konsequenz nicht immer so einfach ist. Wer das Gegenteil behauptet, werfe den ersten Stein. 😉

Im Kern zeigt sich aber, dass eine Bewegung wie jene für den Kampf gegen den Klimawandel viel schlagkräftiger wird, sobald sie ein Gesicht hat. Genau das ist mit Greta nämlich passiert. Klar wird sie als Person angreifbar, als grosser Vorteil bleibt aber die Möglichkeit der Identifikation. Wie gut die Dame aus Schweden dafür geeignet ist, vermag ich nicht zu beurteilen. Für mich ist aber zentral, dass es eine Identifikationsfigur gibt. Es ist nicht wichtig, dass genau sie es ist, sondern das wofür sie steht und dass sich tatsächlich etwas ändert. Auch die Kantonalwahlen in der Schweiz geben diesbezüglich Grund für einen gewissen Optimismus. Wichtig ist vor allem, dass der grüne Gedanke nicht den Linksparteien überlassen wird, sondern dass auch in der Mitte angesiedelte wie die GLP von diesem Schwung profitieren können. Ob die leicht anbiedernd wirkende Kehrtwende der FDP wirklich ernst genommen werden kann, wird sich derweil zeigen. Sicher ist, dass momentan auch deren Mitglieder den Klimawandel als zentrales Thema verstanden haben.

Was soll man da noch sagen? Vielleicht: Danke, Greta.