Warum spricht niemand über den 13. Monatslohn?

In der Debatte um den Mindestlohn scheint es mir besonders augenfällig, dass kaum Wert auf Argumente gelegt wird. Nur schon, dass ein solcher Vorschlag von linker Seite kommt, wird für viele Abstimmende reichen, um ihn abzulehnen. Ich tippe mal auf 58% Nein-Stimmen, vielleicht geht es sogar leicht über 60%.

Dabei gibt es durchaus Argumente gegen einen Mindestlohn. Man kann zum Beispiel sagen, dass die Kosten um zu Leben nicht über all gleich hoch sind. Die sogenannten Lebeshaltungskosten sind in Zürich sicher bedeutend höher als im Kanton Jura. Oder man kann sagen, dass es generell in der Freiheit der Unternehmen liegen soll, die Löhne festzusetzen. Weiter könnte man über den motivierenden Charakter der Löhne zum Schluss kommen, dass Mitarbeitende sich weniger anstrengen, wenn sie genau wissen, das sie so oder so einen bestimmten Betrag verdienen. Und man könnte die Berufslehre als abgewertet sehen, wenn auch ungelernte Personen anspruch auf den Mindestlohn haben.

Praktisch alle diese Argumente lassen sich relativ leicht entkräften. Ein Mindestlohn ist vor allem auch eine moralische Sache. Soll der am schlechtesten qualifizierte Mitarbeiter eine Entlöhnung erhalten, die ihm ein Überleben ohne finanzielle Not sichert?

Ich möchte aber auf etwas Anderes, aus meiner Sicht durchaus Entscheidendes hinweisen. Auf den Effekt, der vom 13. Monatsgehalt ausgeht nämlich. Er hat grossen Einfluss auf die Höhe des Mindestlohnes. Im Initiativtext spricht man von 22 Franken pro Stunde. Ich habe dazu ein kleines Rechenbeispiel. Im GAV des VSSM sind 2164 Stunden als Jahresarbeitszeit festgelegt. Also:

2164 * 22 = 47’608 CHF ergibt monatlich 3967 CHF

Die Entfernung zum vom Verband festgelegten Mindestlohn von 3501 CHF (oder 19.40 CHF pro Stunde) scheint relativ gross. Dieser Mindestlohn gilt für unqualifizierte Mitarbeitende, die nur als Hilfskräfte eingesetzt werden können. Hat jemand den Schreinerberuf erlernt, startet er im 20. Altersjahr schon mit 4018 CHF, was einem Stundenlohn von 22,3 Franken entspricht. Nun kommt aber das, worüber komischerweise niemand spricht. Im GAV der Schreiner ist ein 13. Monatslohn fix vorgeschrieben. Was bedeutet das nun für den Stundenlohn?

3501 * 13 = 45’513 CHF ergibt pro Arbeitsstunde 21,03 CHF

Die Distanz zu den angestrebten 22 Franken pro Stunde erscheint also auf einmal viel kleiner. Schon im 23. Altersjahr würde eine Hilfsperson mit dem aktuellen Mindestlohn nach GAV die 22 CHF pro Stunde praktisch erreichen, obwohl der vorgeschriebene Lohn bei 20.25 CHF liegt. Alles nur dank dem 13. Monatsgehalt.

Ich habe mit jemandem von der JUSO gesprochen, um abzuklären, ob meine Rechnung korrekt ist. Aus seiner Sicht, sei sie durchaus korrekt. Juristisch gesehen, sei das aber noch offen, weil das Thema in der Initiative nicht in Erscheinung tritt. Absolute Gewerkschafts-Hardliner würden das wahrscheinlich eher anders sehen, meinte er. Gerade weil es da offensichtlich Unklarheiten gibt, kann ich nicht verstehen, weshalb niemand darüber spricht. Oder möchten wir gar nicht wissen, was uns der «Spass» am Ende kostet?

Quellen: GAV des VSSM
Twittergespräch mit JUSO-Mitglied.