third person effect

den third person effect kennt man aus der sozialpsychologie. vereinfacht gesagt, versteht man darunter das selbstbild eines menschen, der davon ausgeht, dass nur die anderen von werbung und medien beeinflusst werden. er selbst ist dagegen immun und stets objektiv.

ich würde den ansatz in etwas abgeänderter form gerne auf die momentane stimmung in der schweizerischen gesellschaft bezogen auf gewisse problemthemen anwenden. konkret geht es um die geliebte raser-geschichte und um die gewalttätigen fussballfans.

in den diskussionen, die ich in diesen tagen immer wieder führen muss, gibt es einen immer gleich lautenden grundtenor: die strafen müssen härter werden. ich frage mich dann immer, ob es den leuten schlicht an einer gewissen empathie fehlt, die es ihnen ermöglicht, sich in die lage des mutmasslichen täters zu versetzen. deshalb sehe ich hier auch eine art third person effect: man bemerkt gar nicht, dass sich schärfere strafen dereinst und ein ausgebauter kontrollstaat auch auf das eigene wohl auswirken könnten.

konkretekonstruierte beispiele zur illustration:

– ein mann aus serbien fährt seinen tiefergelegten bmw 320 viel zu schnell durch ein dorf. mit über 80 km/h trifft er ein korrekt fahrendes fahrzeug, dessen insasse sofort tot ist. die entscheidung des volks ist klar: das auto muss verschrottet werden, der serbe geht möglichst lange ins gefängnis und zusätzlich wird sein gesicht mit vollem namen in den grössten zeitungen der schweiz publiziert.

– nach einem fussballspiel sind die fans des unterlegenen fc luzern extrem aufgewühlt. einzelne von ihnen dreschen so lange auf das häuschen einer bushaltestelle ein, bis die scheiben splittern und grosser sachschaden entsteht. auch hier ist sich das volk einig: die übeltäter müssen hart angefasst werden, ihre lehrmeister und arbeitgeber müssen informiert werden, ihre namen und bilder tauchen ebenfalls in den zeitungen auf, sie erhalten lebenslange stadionsperren.

in beiden fällen ist offensichtlich, dass diese menschen fehler gemacht haben, für die sie eine strafe kriegen müssen. darüber müssen wir nicht diskutieren, und ich denke, das strafrecht sieht hier die entsprechenden folgen vor. warum aber die fotos veröffentlichen und ihre identität preisgeben, wie am mittelalterlichen pranger? warum das auto verschrotten, wie ein kind das dem andern dessen sandburg nach einem streit zertritt? sehr enttäuschend, dass sogar moritz leuenberger auf diesen populistischen zug aufspringt.

sind wir denn alle so verdammt grossartig, so perfekt? ist es denn absolut unmöglich, dass uns ein ähnlicher fehler unterlaufen wir uns eines ähnlichen vergehens schuldig machen könnten? verdienen nicht alle menschen ein faires verfahren und angemessene bestrafung, egal was sie sich zu schulden haben kommen lassen? wem nützt ein verschrottetes raserauto direkt? wem hilft es, dass die gewaltbereiten fussballfans mit namen und bild in der zeitung stehen? ich denke: beides bringt rein gar nichts. man zerstört höchstens die zukunft eines menschen derart nachhaltig, dass ihm nur noch ein leben in der kriminalität übrig bleibt. soll ein system so gestaltet sein, dass es mehr kriminelle produziert? oder soll es so gestaltet sein, dass es anreize dafür gibt, nicht in die kriminalität abzurutschen?

aber was soll uns das schon interessieren, uns betrifft das ja sowieso nie. oder etwa doch?