Wenn Parteien TV machen

Nein, ich meine nicht die Selbstbeweihräucherungsanstalt Tele Blocher. Der Tagesanzeiger hat nach dem knappen Abstimmungsresultat beim RTVG (50,01% Ja) einen Schritt weiter gedacht und ein TV-Programm erstellt, wie es die Parteien präsentieren würden. Schliesslich steht uns die grosse Service-Public-Diskussion bevor, die eigentlich schon im Vorfeld zu ebenjener Abstimmung geführt wurde, obwohl der dort gar nicht zur Diskussion stand.

politTVGrafik: Tagesanzeiger

Nicht schlecht, Tagi, nicht schlecht.

Peter M. Birrer zur NLZ

Nein, das ist keine Tatsache. Es ist ein blosser Wunsch. Ein frommer, zugegeben. Denn was Peter M. Birrer für den Tagesanzeiger über David Zibung geschrieben hat, ist besser als alles was Daniel Wyrsch je für die NLZ geschrieben hat. Kumuliert. Die Qualität der Berichterstattung über den FC Luzern hat mit Wyrsch das Niveau des Boulevards erreicht und teilweise unterschritten. Dass die «Mutter» aus Zürich, die hochwohlgeborene NZZ, dem Treiben in Luzern schon so lange zuschaut, hat wohl auch mit einer anständigen Portion zürcherischer Ignoranz zu tun. Wer auch nur ein Spiel live (und einigermassen objektiv) verfolgt und danach den entsprechenden Bericht in der Monopolzeitung gelesen hat, weiss ganz genau, was ich meine.

Ziemlich traurig, dass man objektive Berichte über den wichtigsten Luzerner Sportverein nur einer Zürcher Zeitung entnehmen kann. Trotzdem besten Dank an Peter M. Birrer für die gelungenen Zeilen.

die svp – ein traum der linken?

[…] Die SVP ist der nie erreichte Traum der Orthodoxen unter den Linken, der Maoisten und Leninisten: eine echte Kaderpartei. Ihr Personal verschwendet kaum Energie mit Debatten: Entscheidungen fallen auf von der Führung sorgfältig vorbereiteten Grossparteitagen. […]
der artikel von constantin seibt ist leider nicht als kommentar ausgewiesen. denn für einen konventionellen artikel bezieht er meiner meinung zu sehr stellung, ist er zu sehr meinung denn recherchierte tatsachenbeschreibung. trotzdem, einige nicht wegzudiskutierende wahrheiten machen den text lesenswert. wann er in der printausgabe zu lesen war, weiss ich nicht, die webversion datiert vom 12. mai 2011.

danke an [@kindlimann via twitter|https://twitter.com/kindlimann] für den hinweis.

charles lewinsky at his best

[…] Im Lauf des Abstimmungskampfes haben wir viele Argumente gehört, die nur ein Eidenbenz (oder sein PR-Spezialist) erfunden haben konnte. «Ich bin gegen Minarette, weil ich mich für Frauenrechte einsetze.» Einleuchtend. Weil Frauenrechte und Minarette ja dasselbe sind. So wie Fahrräder und Bratwürste. «Ich bin für die Minarett-Initiative, weil man in Saudiarabien keine Kirchen bauen darf.» Klar. Man beweist seine moralische Überlegenheit am besten, indem man das, was man verurteilt, selber tut. «Ich bin für die Minarett-Initiative, weil die Schweiz sonst islamisiert wird.» Natürlich, die verdammten Ausländer wollen unser Land übernehmen. Die U-17-Nationalmannschaft haben sie schon unterwandert. Und im Zürcher Tram werden die Stationen auch schon hochdeutsch angesagt. Wehret den Anfängen. […]

wow, der essay von charles lewinsky ist wirklich eindrücklich. da sitzt jetzt aber jedes einzelne wort. der obige auszug soll nur ein kleines appetithäppchen sein. unbedingt hier nachlesen.

multikulti im italienischen fussball

wer die italienische nationalmannschaft kennt weiss, alle spieler sind weiss. oder höchstens etwas bräunlich. einen dunkelhäutigen spieler hat man noch nie gesehen im blauen dress unserer südlichen nachbarn. nun gibt es einen, der sich seine nomination verdienen würde: mario balotelli. der artikel von oliver meiler im heutigen tagesanzeiger befasst sich mit ihm:

Ein Mario, sozusagen

Oliver Meiler, Marseille

Sie haben schon Bananen nach Mario Balotelli geworfen. Wann immer er den Ball berührt, und das tut der Teenager mal elegant und mal unter Einsatz seiner ganzen imposanten Körperkraft, meistens jedenfalls mit bestaunenswertem Können, dann steigt aus den Kurven in Turin, in Rom und in Bergamo der dumpfe Chor der Rassisten: «Uuh, uuh, uuh!» Oder: «Es gibt keine italienischen Neger.»

Ein historischer Slogan, abgeschaut im Rassenmanifest der Faschisten. Mario Balotelli, 19, geboren in Palermo, ist der Sohn von Einwanderern aus Ghana, die ihr Kind mit zwei Jahren in einem Krankenhaus in Brescia abgaben. Für immer. Mario wuchs bei den Balotellis auf, seiner neuen Familie, nahm deren Namen an. Alles sehr italienisch, im Nebel Brescias. Er sagt: «Ich bin Italiener, ich fühle mich wie ein Italiener.»

Die Ultras hören das nicht gerne. Keine Disziplinarstrafe, keine Drohung des Verbands und der Politik bringt sie von ihrem Gegröle gegen «Super Mario» ab, wie ihn die Sportpresse nennt. In den meisten Fällen bleibt es bei den Drohungen. Sie haben nicht viel zu befürchten. Und sie wollen verhindern, dass der Mittelstürmer in Diensten von Inter Mailand, einer der besten Spieler seiner Generation mit Angeboten aus Barcelona, Liverpool und London, in die italienische Nationalmannschaft aufgenommen wird. Für das nationale Nachwuchsteam hat er schon oft gespielt. Für die Azzurri aber, die amtierenden Weltmeister, noch nie.

Nun appellierte am Montag der «Corriere della Sera», Italiens grösste Zeitung, in einem Kommentar auf der ersten Seite an den Nationaltrainer, er möge Mario Balotelli in die erste Mannschaft aufnehmen, mitnehmen an die Weltmeisterschaften in Südafrika: «Das ist die beste Antwort auf die Chöre aus den Kurven», schreibt die Zeitung, «die Nationalmannschaft ist der Spiegel Italiens.» Mal sehen, was stärker ist: der Mut des Trainers oder die Pfiffe der Ultras.

Der «Corrier» stellt es wie einen Akt der Zivilcourage dar, was natürlich grotesk anmutet. Die italienische Gesellschaft ist längst viel multikultureller, als es die Idioten in den Kurven und die fremdenfeindliche Lega Nord wahrhaben wollen. Das frühere Emigrations- ist zum Immigrationsland mutiert. Und es hat noch viel Mühe damit – gerade im Fussball. Balotelli ist nur das prominenteste Beispiel. Ausgepfiffen werden alle Spieler mit dunkler Hautfarbe.

Doch Balotelli reagiert. Mit Trotz, mit arrogantem Gehabe auf dem Platz, mit Selbstschutz. Balotelli hält sich auch schon mal den Zeigefinger auf die Lippen im Torjubel und schaut herausfordernd, den Kopf wippend, hinauf zu den Rängen. Als wollte er sagen: «Seht her, eure Pfiffe kümmern mich nicht, ich zeigs euch allen!»

Das sollte er natürlich nicht tun, weil die Ultras dann noch lauter grölen. Aber wer kann es ihm verdenken? Er legt sich auch oft mit dem Schiedsrichter an, als würde der junge Mann ihm vorwerfen, dass er ihn nicht besser schütze. Er wurde dafür auch schon vom Platz gestellt. Sein Trainer bei Inter, der Portugiese José Mourinho, hält Balotelli zwar für ein grosses Talent, rät ihm aber zu mehr Fassung und Haltung. Auch der «Corriere» kann sich einige schulmeisterliche Bemerkungen zu Balotelli nicht verkneifen: «Er fährt mit seinem Auto 240 Stundenkilometer schnell und brüstet sich damit. Er führt sich auf wie ein Grossmaul.»

Nun ist es ja nicht so, dass er sich als Aufschneider sonderlich unterscheiden würde von anderen Marios seines Alters, zumal nicht im beruflichen Milieu, in dem er gerade versucht, gross und erfolgreich zu werden. Mario Balotelli sind unter den Pfiffen aber mildernde Umstände einzuräumen – und ein Platz im Nationalteam.

sind ausländer krimineller?

pauschal gesagt: ja. aber: dahinter steckt deutlich mehr als nur ihre herkunft. dem tagi ist das ziemlich egal. einer boulevardzeitung gleich streut er frischfröhlich bekannte vorurteile in die welt hinaus. der artikel ist an oberflächlichkeit und ungenauigkeit kaum mehr zu überbieten. schade, von der einst so starken zweiten kraft in zürichs zeitungsandschaft hätte man mehr erwarten können. lkm hat dazu einen sehr guten artikel in seinem blog geschrieben. ich habe die studie von kilias überflogen, für mehr fehlt mir momentan etwas die zeit. aber lkms antwort auf den tagi-artikel möchte ich euch nicht vorenthalten:

Der Tagi hat sich mal wieder selbst übertroffen. In einem mit «Jugendliche mit Migrationshintergrund begehen doppelt so viele Gewaltdelikte» betitelten Artikel bestätigt er alle Vorurteile, die man als Schweizer so hat. Dabei bezieht er sich auf eine Studie vom Kriminologischen Institut der Universität Zürich, ohne aber darauf zu verlinken. Soweit ich das beurteilen kann ist die Quelle für die Tagi-Daten [diese Studie (PDF).|http://www.rwi.uzh.ch/lehreforschung/alphabetisch/killias/forschung/JugenddelinquenzSG.pdf] Wer das PDF durchblättert findet einige interessante Fakten. Hier sind die primären Indikatoren für Jugendgewalt:

1. Geschlecht. Männliche Jugendliche verursachen drei mal mehr Körperverletzungen als weibliche Jugendliche.

2. Schultyp. Realschüler verursachen drei mal mehr Körperverletzungen als Gymnasialschüler.

3. Repetieren einer Schulklasse. Wer eine Schulklasse repetieren muss verursacht beinahe doppelt so viele Körperverletzungen.

4. Emotionale Bindung zur Schule. Wer nicht gerne zur Schule geht verursacht mehr als doppelt so viele Körperverletzungen; wer die Schule im letzten Jahr mindestens einen Tag geschwänzt hat verursacht beinahe drei mal mehr Körperverletzungen.

5. Elterliche Kontrolle. Kinder mit schwacher elterlicher Kontrolle verursachen mehr als doppelt so viele Körperverletzungen. Wer im letzten Jahr ohne elterliche Erlaubnis wenigstens eine Nacht von zu Hause weggeblieben ist verursacht mehr als drei mal mehr Körperverletzungen. Wer mehr Zeit mit den Eltern verbringt verursacht weniger Körperverletzungen. Die Familienzusammensetzung (ungeschiedene Eltern = besser) ist ebenfalls ein Indikator, wenn auch ein weniger starker. Vermutlich besteht ein Zusammenhang zwischen der Familienzusammensetzung und der Kontrolle, die von den Eltern ausgeübt werden kann.

6. Nachbarschaft. Wer in einer «problematischen» Nachbarschaft lebt verursacht beinahe drei mal mehr Körperverletzungen.

7. Alkoholkonsum. Wer mindestens ein mal pro Woche Alkohol konsumiert verursacht beinahe drei mal mehr Körperverletzungen. Das selbe Resultat bei Cannabis; bei harten Drogen werden beinahe vier mal so viele Körperverletzungen verursacht.

8. Gangzugehörigkeit. Wer zu einer Gang gehört verursacht mehr als vier mal so viele Körperverletzungen.

9. Ausgehverhalten. Wer öfters in den Ausgang geht verursacht etwa drei mal mehr Körperverletzungen.

10. Migrationshintergrund. Wer einen Migrationshintergrund hat verursacht doppelt so viele Körperverletzungen.

Der Migrationshintergrund ist einer der weniger starken Indikatoren in der Studie, und korreliert zudem extrem stark mit anderen Indikatoren. Menschen mit Migrationshintergrund haben oft arbeitslose Väter, sie haben Eltern mit tiefen Einkommen, sie haben Eltern die wenig Kontrolle ausüben können, sie werden wegen Sprachproblemen in tiefere Schullevels eingeteilt, und sie wohnen in problematischen Nachbarschaften.

Das Problem ist nicht der Migrationshintergrund per se, sondern die damit verbundenen Faktoren. Wer das Problem lösen will kann sich nicht auf den Migrationshintergrund konzentrieren, sondern muss die anderen Probleme beheben – das bringt schlussendlich auch Menschen ohne Migrationshintergrund etwas, weil sie unter den selben Problemen leiden.

Trotzdem ist der Migrationshintergrund der einzige vom Tagi erwähnte Faktor.

Bravo, Tagi.

tatsächlich, bravo tagi. meine abo-kündigung ging zwar schon aufgrund der kündigungswelle in der nahostberichterstattung raus, aber das hier wäre wieder ein kündigungsgrund gewesen. wer so oberflächlichen crap schreibt, sollte den titel vielleicht links oben auf rotem grund tragen… naja, ist ja nicht so weit vom tagi-hauptquartier bis an die dufourstrasse.

übrigens gibt es natürlich auch leute, für die der artikel im tagesanzeiger regelrecht wasser auf bereits laufende mühlen war. von ihnen werden dann klärende worte wie die von lkm als linke augenwischerei abgetan. ich halte es eher für populistische rechte augenwischerei, einfach einen grossteil einer studie gar nicht erst zu interpretieren.

bezahlen für nytimes.com?

um auf die inhalte von nytimes.com zuzugreifen wird man möglicherweise schon bald 5 usd pro monat zahlen müssen. wie die nzz online berichtet, kämen abonnenten mit der hälfte davon. natürlich hat man als user generell die sicht, dass alles gratis sein muss. auf der anderen seite regt man sich auch auf, wenn eigentliche informationsseiten unter riesigen haufen von werbelayern zugedeckt gar nicht mehr als solche zu erkennen sind. also lieber bezahlen und dafür recherchierte berichte, die nur mit wenig werbung «garniert» sind, in vollem umfang online geniessen? eigentlich keine schlechte idee. aber 5 dollar sind dann wieder etwas viel, wenn man neben der ny times auch noch andere zeitungen konsultieren möchte und jedes dieses blätter einen solchen betrag kassiert. wenn man dann aber wieder ein jahresabo der nzz anschaut, das satte 465 chf verschlingt… das macht pro monat 36 usd. ok, das ist die gedruckte aufgabe, aber seien wir ehrlich, auch die landet in der papiersammlung. dann sind die 5 dollar für die ny times auf einmal doch nicht mehr so viel. und wenn man weiter in betracht zieht, dass momentan alle grossen medienhäuser tendenziell ihre berichterstattung aus finanziellen gründen einschränken, ist es wohl doch schlauer rechtzeitig auch für online-inhalte geld zu verlangen. sonst werden vielleicht auch dort wie beim tagesanzeiger ganze redaktionen einfach so wegrationalisiert und deren beiträge durch meldungen anderer zeitungen oder agenturen ersetzt.

also: besser jetzt für gute online-inhalte bezahlen als bald nur noch 20min-schrott vorgesetzt zu kriegen.

der kult um apple

es hätte ein toller artikel werden können: warum ist apple so beliebt, warum wechselt kaum einer von os x zu windows zurück? doch jean-martin büttner hat sich nicht wirklich mit der materie beschäftigt. lieber wirft er den fans der marke vor, sie verhielten sich wie in einer sekte. tatsächlich gibt es wohl von jeder marke eine kleine gruppe fans, die den ceo oder den designer anhimmelt. richtig peinlich wird es für büttner aber, wenn er auf die produkte eingeht: die apple-maus habe nur eine taste meint er. seit bald 4 jahren gibt es die mighty mouse, die inzwischen zu jedem desktoprechner mitgeliefert wird. ein bisschen recherche hätte gelangt, um das herauszufinden. mit keinem wort erwähnt der journalist das betriebssystem os x, das in meinen augen auch erfolgsgarant für das iphone ist. ausserdem meint büttner, dass für apple produkte und auch die accessoires «exorbitante» preise gezahlt würden. das beweist einmal mehr: der mann hat nicht recherchiert. tatsächlich sind die apple-computer nur wenig teurer (wenn überhaupt). accessoires werden von drittherstellern angeboten, nicht von apple selbst. wenn ich aber die preise von autoladegeräten von telefonen vergleiche, sehe ich auch da keine frappanten abweichungen.

aber büttner hätte wohl gegen all diese argumente etwas simples entgegenzuhalen. ich bin bloss ein sektenmitglied. richtig?

Der Tanz um den weissen Apfel

Was lässt Nutzer von Apple-Geräten zu Jüngern werden? Design, Marketing, Personenkult – und das Erlebnis einer rundum vernetzten Kommunikation.

Von Jean-Martin Büttner

Sie fantasieren monatelang neue Produkte herbei und stellen Bilder davon ins Internet. Sie führen einen endlosen Meinungskrieg darüber, wie viel besser die Geräte von Apple sind als alle anderen. Sie schwärmen nicht von der Musik, die sie hören, sondern von den Geräten, die diese Musik abspielen. Sie beraten einander bei Problemen und treffen sich zu gemeinsamen Feiern. Wenn Apple irgendwo auf der Welt eine Konferenz abhält, sind sie live im Netz dabei oder reisen von überall her an. Geht in einer Stadt ein neuer Laden auf, übernachten einige von ihnen vor dem Geschäft, um ein Gratis-T-Shirt zu bekommen. Auch für die billigsten Accessoires zahlen sie exorbitante Preise. Sie führen sich auf wie Auserwählte, die ihre Gegenwart für unsere Zukunft halten.

Manche Macianer benehmen sich also wie Mitglieder einer Sekte. Und weil jede Sekte einen Anführer braucht, beten sie seit Jahren Steve Jobs an, den Mitbegründer und Hauptverkörperer von Apple. Sie haben ihm geglaubt, dass er die Welt verändern möchte, dass Geld für ihn keine Rolle spielt, dass er die Träume von Albert Einstein bis John Lennon virtuell verwirklicht, dass er ein Visionär ist, ein Rebell. Mit seiner Erkrankung ging der Personenkult etwas zurück (siehe Artikel unten). Dennoch verfolgen die Adepten Jobs› Gesundheitszustand mit einer Aufmerksamkeit, die sonst nur Päpsten zukommt.

Mitmachen beim Rundum-Erlebnis

Klar: Die grosse Mehrheit der AppleUser benutzt ihre Geräte als Werkzeug und macht keinen Kult daraus. Aber von dieser Mehrheit redet keiner. Alle reden von den Fanatikern, die als wandelnde Werbeträger durch die Welt gehen. Ihre Verehrung zeigt die Wirkung des Kapitalismus in Vollendung. Die Produkte der Firma Apple funktionieren nicht bloss als Computer, Musikmaschinen oder Handys, sondern definieren einen Lebensstil, bieten eine Identität, manche sagen gar: Sie funktionieren wie ein externes Organ. Der welsche Designer Yves Béhar, der in San Francisco mit seiner Firma Fuseproject für mehrere Weltmarken arbeitet, fasst das im Gespräch in einen Satz, der gleichzeitig Beschreibung ist und Verkündigung: «Apple bietet seine Marke als Rundum-Erlebnis an, bei dem alle Teile zueinander passen und sich alle dazugehörig fühlen, die an diesem Erlebnis teilnehmen.»

Wie hat die Firma es geschafft, bei ihren Kunden ein derart hohes Mass an Identifizierung auszulösen? Nur an den Produkten kann es nicht liegen. Anders als es die Eigenwerbung von Apple glauben mache, sagt der Fachjournalist Peter Sennhauser, seien die wenigsten Produkte der Firma wirklich neu. Vielmehr würden Bestandteile von anderen Firmen übernommen, angepasst, neu designt und dann vermarktet. Ohnehin vermögen andere Geräte oft mehr: Die Apple-Maus hat keine KontextTaste wie bei Windows, der iPod liefert eine schlechtere Klangqualität als andere MP3-Spieler. Und dem iPhone fehlten, zumindest bis zum vorgestern angekündigten Update, viele wichtige Funktionen. Ausserdem hält seine Batterie viel zu wenig lang.

Steve Jobs, der Berserker

Dennoch gilt der iPod als Inbegriff des MP3-Spielers wie damals der Sony-Walkman als tragbares Kassettengerät. Und das iPhone hat Standards gesetzt, an denen sich die Konkurrenz orientieren muss. Wie war das möglich für eine Firma, die lange bloss eine kleine Minderheit bediente? Leander Kahney, der beim Fachmagazin «Wired» arbeitet und mehrere Bücher über den Apple-Kult verfasst hat, hält Steve Jobs für den wichtigsten Grund: diesen Autodidakten ohne nennenswerte Computerkenntnisse, ein Charismatiker und Narzisst, der von einer explosiven Mischung aus Grössenwahn und Paranoia angetrieben wird. Steve Jobs gilt als Despot, der Mitarbeiter vor versammelter Runde fertigmacht, die einen aus einer Laune heraus feuert und andere zu verschwörerischen Zirkeln umgruppiert. Doch Jobs umgebe sich immer mit den besten Leuten, schreibt Kahney, treibe sie zu Höchstleistungen an, kontrolliere detailversessen ihre Arbeit, suche konsequent nach der besten, da einfachsten Lösung und argumentiere stets aus der Sicht der Konsumenten.

Illusion von Individualität

Dass sich so viele von ihnen mit ihren Geräten identifizierten, sagt Designer Yves Béhar, habe mit der Funktion dieser Geräte zu tun: «Sie haben die Beziehung der Leute zur Musik und zueinander komplett verändert. Sie vernetzen uns mit der Arbeit und der Familie, funktionieren als Aggregate von Emotionen, symbolisieren das Bedürfnis des Dazugehörens, des Dabeibleibens und des Teilens.» Warum aber gerade Apple? Weil diese Firma von Anfang an auf ein geschlossenes System gesetzt habe, sagt Béhar, das seine Module untereinander vernetze und sich dem Kunden als fertige Gesamtlösung anbiete. «Design ist immer eine Frage von Entscheiden», glaubt er, und Apple habe sich konsequent für Einfachheit und Eleganz entschieden. All das verstärke die Identifikation und das Gefühl der Auserwähltheit. Indem Apple die Differenz zur Konkurrenz konsequent vermarkte, könne die Firma die Illusion von Individualität aufrechterhalten.

Darauf zielt auch der Apple-Slogan «Think Different», obwohl er einen unlösbaren Widerspruch in sich trägt: Wer zum Andersdenken aufgefordert wird, denkt so wie die anderen, also gleich. Dieser Widerspruch geht für Béhar aber durch jeden Trend, jede Mode und jeden Stil. «Es wird schwierig, jemand zu sein», sang einst John Lennon, den Steve Jobs so verehrt wie seine Jünger ihn. Apple macht ihnen die Sache leicht: Kauft unsere Geräte und seid alle anders.