Coronahype (updated)

In Anbetracht des enormen Hypes um das «Coronavirus» haue ich mal wieder in die Tasten.

Es wäre einfach, «die Medien» für den aktuellen Hype zu blamen. Klar, der Blick hat grosse, manchmal sogar rote Buchstaben und würzt mit Ausrufezeichen nach. Aber das ist nun mal einfach die Sprache des Boulevards. In den «seriöseren» Zeitungen steht im Prinzip genau die gleiche Message, nur halt in kleinerer Schriftgrösse und möglicherweise mit weniger Adjektiven. Das ist jedoch auch bei jedem Fussballspiel oder jeder entscheidenden Handlung Donald Trumps so. Also: Calm down. Und nein, die Medien sind nicht schuld.

Aber wer dann? Wenn ich das Verhalten gewisser Mitmenschen so anschaue, lande ich schnell bei der Bildung. Uns hat man vor etwas mehr als 10 Jahren ganz ohne Instruktion ein paar neue Tools in die Hände gegeben. Social Media, häufig also Soziale Medien übersetzt, hat wirklich viele Vorteile. Gerade in Zeiten von COVID-19 zeigen sich aber auch die Nachteile. Es ist sehr einfach, verschwörerische Gedanken zu verbreiten und eher nicht so einfach, Fakten zu überprüfen. Klar, es gibt Seiten wie Correktiv, Snopes oder andere, die sich um Einordnung bemühen. Wie gerne wir trotzdem auf Fakes reinfallen, zeigt die Anzahl meiner Facebookfreunde, die immer noch glauben, sie könnten ein Wohnmobil/Ford Mustang/whatever gewinnen, wenn sie unter einem bestimmten Post einen Kommentar absetzen. Manchmal könnte man fast meinen, dass wir gerne verarscht werden.

Also, das Verstehen und Einordnen von Botschaften muss verstärkt gelehrt und gelernt werden. Der Umgang mit Social Media muss ebenso gelernt werden, auch wenn in diesem Bereich viel «learning by doing» ist, weil sich die Kanäle nicht nur laufend Anpassungen im Detail erfahren, sondern weil auch immer mal wieder völlig neue Dienste relativ schnell ein grosses Publikum erreichen. So weit, so Common Sense. Was noch?

Statistik. Ja, Statistik. Und ja, ich weiss, vertraue keiner Statistik, die Du nicht selbst gefälscht hast. Haha. Darum geht es nicht. Sondern darum, Kennzahlen zu verstehen und einordnen zu können. Natürlich ist Angst nie rational. Und doch bin ich der Überzeugung, viele Menschen, die sich nun enorm sorgen, könnte man mit ein bisschen Hintergrundinformation einen Teil ihrer Angst nehmen. Aber Begriffe wie Inkubationszeit, Mortalität oder auch Worst Case Scenario muss man zuerst einmal verstehen.

Gerade die Inkubationszeit scheint mir im Fall vom COVID-19 ein grosses Problem zu sein. Sie wird aktuell mit durschnittlich 7 Tagen angegeben, wobei es auch noch länger dauern kann.

Der Erreger kann auch während der Inkubationszeit von Mensch zu Mensch übertragen werden. Infizierte sind demnach schon während der oft zehntägigen Inkubationszeit ansteckend, ohne dass sie Symptome zeigen. Dies trägt maßgeblich zu einer schnellen Verbreitung des Virus bei und macht die Eindämmung problematisch.

Tropeninstitut.de

Zur Mortalität gibt es momentan noch recht unterschiedliche Angaben. Sie ist am Ursprung in der chinesischen Provinz Hubei relativ hoch (ca. 3 – 4%). Dazu sollte man wissen, dass die Mortalität bei einer üblichen Grippewelle bei ca. 0,1% liegt. Es schaut momentan so aus, als liege sie bei COVID-19 ausserhalb des Ursprungsgebietes bei 0,20,7%.

Was Epidemienforscher Christian Althaus zu einem Worst Case Szenario gesagt hat, halte ich für sehr unglücklich.

NZZ: Es könnte also drei Millionen Infizierte in der Schweiz geben. Bei einer Sterblichkeit von einem Prozent sprechen wir von 30 000 Toten.
Althaus: Ja. Ein solches Worst-Case-Szenario ist nicht ausgeschlossen.

NZZ.ch

Natürlich ist es nicht ausgeschlossen, aber es handelt sich eben um den worst case, den allerschlechtesten Fall. Das hätte er betonen müssen. Denn die Bevölkerung ist derart sensibiliert, dass heute solche Details entscheiden können, ob bei leshop.ch und coopathome.ch die virtuellen Regale an Grundnahrungsmitteln und Schutzmasken leerbestellt werden. Auf der anderen Seite gibt es auch Ärzte wie Josef Widler, die begreifen, dass es sinnvoll sein könnte, Ruhe zu bewahren.

Video auf watson.ch anschauen

Die Absagen von Grossveranstaltungen wie dem Engadiner Skimarathon oder dem Carnevale in Venedig können sinnvoll sein, weil grosse Ansammlungen von Menschen auch ein entsprechend erhöhtes Risiko von Ansteckungen zur Folge haben. Doch ist unsere Welt inzwischen viel zu vernetzt, dass man mit Grenzschliessungen oder ähnlichen Massnahmen eine Verbreitung des Virus› verhindern könnte.

Was kann man selbst tun, um sich zu schützen? Eigentlich nicht so viel. In die Armbeuge niesen oder husten wird von allen Experten empfohlen, ebenso wie das regelmässige Händewaschen. Dass man nicht in Gebiete gehen sollte, die bereits für eine starke Verbreitung des Virus› bekannt sind, liegt auf der Hand. Auf der Website des BAG gibt es dazu nähere Informationen dazu.

Was soll man nicht unbedingt tun? Nun, der damalige Armeechef Blattmann meinte zwar 2014 noch, man wisse nie und würde am besten gleich hunderte Liter Trinkwasser und andere Notvorräte lagern. Ich halte das nicht nur für praxisfremd, sondern auch für unnötig. Ebenso unnötig, ja kontraproduktiv ist das Befeuern von irgendwelchen Verschwörungstheorien à la » das sind die Amerikaner, denen ist der Erfolg der Chinesen schon lange ein Dorn im Auge». Das hat vielleicht bei Ganser Platz, es ist aber nur schon aufgrund der enormen Interdependenz einfach dermassen realitätsfremd, das höchstens die so geschürten Ängste politisch nutzbar sind.

Womit wir wieder am Anfang wären: Social Media und die dortigen Inhalte auch in solchen Zeiten sinnvoll nutzen und einordnen, Statistiken anschauen und zu verstehen versuchen und nicht zuletzt einen kühlen Kopf bewahren.


Tja, ich war genau einen Tag zu früh. Darum kurz ein Update: Inzwischen hat der Bundesrat eine Regelung aktiviert, nach welcher Anlässe mit mehr als 1000 Teilnehmenden verboten sind. Somit sind Veranstaltungen wie die Basler Fasnacht oder der Autosalon in Genf (GIMS) automatisch abgesagt. Ich halte diese Massnahme nicht nur für übertrieben, sondern auch unnötig eskalierend was die Stimmung in der Bevölkerung betrifft.


Es ist wohl Zeit für ein weiteres Update. Je mehr ich darüber lese, desto mehr gelange ich zum Schluss: Doch, das Verhalten des BAG war richtig. Vielleicht hätte man sogar noch krasser reagieren müssen. Grundsätzlich zeigt sich in praktisch allen Ländern, die früh eine relativ hohe Fallzahl hatten eine exponentielle Zunahme der Fälle. Das Beispiel Italien zeigt, wie schnell dann ein totaler Lockdown das Einzige ist, was man noch gegen eine weitere Verbreitung tun kann.

«Flatten the Curve» ist wohl alles, was wir momentan tun können. Auf Deutsch: Die Kurve plätten. Es geht darum, den extremen Anstieg der Fälle zu verhindern, damit unser Gesundheitssystem die Neuansteckungen versorgen kann. Was passiert, wenn man das nicht schafft, berichtet der italienische Arzt Daniele Macchini aus dem Spital in Bergamo:

Die Zahl der Fälle multipliziert sich. Aktuell liefern sich 15 – 20 Personen täglich selbst ein. Die Resultate der Tests sind alle gleich: positiv, positiv, positiv. Plötzlich bricht die Intensivstation zusammen.

Ausschnitt. Aus dem Englischen übersetz. Quelle: Independent.co.uk

Diese Situation soll verhindert werden. Und genau darum sollte man die Anweisungen des BAG durchaus ernstnehmen. Panikkäufe von Nudeln, Mehl und anderen Grundnahrungsmitteln sind noch immer unangebracht. Ein ruhiges, überlegtes Verhalten ist weiterhin angesagt. Dazu gehört auch, die Verschwörungstheorien weiterhin auszublenden.

7 Antworten auf „Coronahype (updated)“

  1. «Doch ist unsere Welt inzwischen viel zu vernetzt, dass man mit Grenzschliessungen oder ähnlichen Massnahmen eine Verbreitung des Virus‘ verhindern könnte.»

    Das stimmt natürlich. Ich glaube aber, Ziel dieser Massnahmen ist eher, die Verbreitung zu verlangsamen. Das Worst-Case-Szenario ist ja nicht nur, dass wir alle plötzlich sowas wie eine Grippe haben, sondern dass jede angesteckte Person relativ viele andere Personen ansteckt, das Virus sich deshalb exponentiell ausbreiten kann, was bedeutet, dass wir alle *gleichzeitig* sowas wie eine Grippe haben.

    Das heisst, dass in recht kurzer Zeit viele Leute krank werden können, was zu vergleichsweise vielen gleichzeitigen Fällen mit problematischem Verlauf führt, was dann dazu führt dass die Spitäler überfüllt werden (und weil Spital-Personal zu den Hochrisikogruppen gehören, kann es zusätzlich dazu kommen, dass Spitäler unterbesetzt sind).

    Deshalb wäre es wünschenswert, dass sich das Virus nicht zu schnell verbreitet, so dass schwere Fälle gestaffelt auftreten, und nicht alle gleichzeitig.

    Und dass die Basler Fasnacht abgesagt wird, das ist ja sowieso schon lange wünschenswert, da sind wir uns sicherlich alle einig 😛

  2. Yep, die Republik hat das gut gemacht.
    Und ja, es geht um die Verlangsamung, schon klar. Nur ist das halt derart inkonsequent, dass man sich schon fragen kann, wie viel es in dieser Form bringt. So sind Schulen und ÖV sind weiterhin praktisch unbeinträchtigt, was ich ja auch gut finde. Jetzt sollen die Israeli ein bisschen vorwärtsmachen, damit der Impfstoff Ende Jahr verfügbar wird. 😉

  3. >Nur ist das halt derart inkonsequent, dass man sich schon fragen
    >kann, wie viel es in dieser Form bringt

    Jede Massnahme hilft. Aber du hast natürlich recht, wir sollten drastischer vorgehen. Gemäss den aktuellen Daten müssen wir davon ausgehen, dass der Virus extrem einfach übertagbar ist, und man deshalb öffentliche Verkehrsmittel meiden sollte. Wenn sich der Virus bei uns ähnlich schnell wie in China ausbreitet, haben wir in einem Monat 100’000 Fälle in der Schweiz. Dass unsere Spitäler damit nicht umgehen können sollte zu diesem Zeitpunkt nun offensichtlich sein, was die Todesrate erhöhen wird.

    Vielleicht haben wir Glück, und es kommt nicht dazu, aber das ist ein realistisches Szenario, und das aktuelle «Keine Panik Bitte»-Verhalten ist keine produktive Lösung dafür.

  4. > Panik ist eigentlich nie hilfreich. Aber ich denke,
    > Du meinst mit Deinem letzten Satz etwas anderes.

    Ich meine dass es nicht hilfreich ist, kurzfristige ökonomische Bedenken höher zu gewichten als die Gesundheit der Bevölkerung. Es ist nicht hilfreich, den Leuten zu sagen, dass alles OK ist. Es ist nicht okay, und es wird in den nächsten Wochen noch viel weniger OK werden.

    Vor allem nach dem inkompetenten Verhalten der Regierung ist klar, dass Althaus recht hat, und dass es durchaus nicht falsch ist, wenn die Leute ihre Vorräte aufstocken. Unsere Regierung war nicht einmal weitsichtig genug, um Atemmasken für unsere Spitäler zu sichern. Ich bin mir ziemlich sicher, dass die Schweiz in keiner Weise für den Worst Case vorbereitet ist, und vermutlich nicht einmal für den Medium Case.

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