An irgendetwas muss man doch glauben

«Nun sag, wie hast du’s mit der Religion? Du bist ein herzlich guter Mann, allein ich glaub, du hältst nicht viel davon.“

Das ist sie, die legendäre Gretchenfrage. Für mich kann ich sie relativ einfach beantworten. Nein nicht relativ, absolut. Ich für halte für mich absolut gar nichts davon. Ich glaube nicht an die Existenz eines Gottes. Punkt.

Der Satz liest sich so einfach, stellt aber offenbar für viele Menschen ein kleines Rätsel dar. Nicht selten werde ich in der Folge gefragt, an was ich denn dann glaube. Normalerweise sage ich dann entweder «an nichts» oder «an das Gute im Menschen». Letzeres kommt ab und zu ein wenig ins Wanken. Und «nichts» klingt dann im Ohr des Fragenden auch nicht wahnsinnig aufschlussreich. Also habe ich vor einiger Zeit mal mit «an den Lamborghini-V12-Motor geantwortet.». Die Reaktion war interessant. Zuerst gab es ein Lächeln, dann einen ziemlich ungläubigen Blick hinterher. Das könne ja nicht mein Ernst sein. Man könne doch nicht an einen Motor glauben.

Natürlich war das nur ein Scherz. Doch warum daraus kein kleines Gedankenexperiment machen? Ich finde, mein V12-Gott schneidet doch gar nicht so schlecht ab, wenn ich ihn mit dem banalen Gott, den hier alle zu kennen scheinen vergleiche. Meiner hört mir jederzeit zu. Er ist aus Fleisch und Blut, ok, aus Metall und so, aber auf jeden Fall zum Anfassen. Er steckt in einer betörenden Hülle. Er will kein Geld von mir. Er will auch nicht, dass ich exklusiv an ihn glaube. Er will schon gar nicht, dass ich alle anderen Götter doof finde oder sie sogar bekämpfe. Er verlangt nicht von mir, Ungläubige in Gläubige zu verwandeln, indem ich missioniere. Er ist richtig kräftig. Das Beste an ihm ist aber definitiv sein Klang unter Volllast. Da kommt kein anderer Gott mit. Und ja, wenn ich an ihn denke, bin ich glücklich.

Religionen sind zu schonen,
sie sind für Moral gemacht.
Da ist nicht eine hehre Lehre,
kein Gott hat klüger gedacht,
ist im Vorteil, im Vorteil.

Sind sie wirklich zu schonen? Müssten sie nicht eher uns schonen? Grönemeyer, den ich für seine Musik und grösstenteils auch für seine Texte sehr schätze, liegt hier für meinen Geschmack total daneben. Wenn kein Gott im Vorteil ist, wieso und wie soll man sich dann für einen entscheiden. Und sind Religionen tatsächlich für Moral gemacht? Waren sie nicht Mittel zur Kontrolle von Untergebenen? Aber vor allem: Moralische Grundsätze brauchen keinen Gott, keine Religion. Dass man nicht töten soll wird nicht erst durch ein göttliches Element moralisch. Aber es gibt bestimmt in allen Religionen Regeln, die es nicht bis in die Moral schaffen. Warum soll sich eine Frau vor den Blicken anderer Männer verhüllen müssen, während ihr Mann neben ihr in Shorts und Hawaiihemd die Sonne geniesst? Ist das moralisch? Und nein, solche behämmerten Regeln finden sich nicht nur im Islam.

Wenn jemand bei einem Manne liegt wie bei einer Frau, so haben sie getan, was ein Gräuel ist, und sollen beide des Todes sterben.

Es braucht keine stundenlange Googlerecherche um sowas zu finden. Natürlich kann man jetzt sagen, dass man solche Stellen a) vermehrt im Alten Testament findet und b) sie nicht Wort für Wort verstehen soll. Aber wie genau soll ich so etwas denn sonst verstehen? Kurz nachgefragt, nein, der heilige Lamborghini-V12 hat nichts gegen Schwule und Lesben.

Ein grosser Nachteil an Religionen ist bestimmt, dass sie sich nicht weiterentwickeln können. Das gilt zumindest für die Bücher, auf die sie sich hauptsächlich beziehen. Wie kann ein 1000 Jahre altes Buch für heutige Probleme Lösungsstrategien bereithalten? Indem es interpretierbare Geschichten als Grundlage liefert. Genau dort liegt ein weiteres Problem; der Interpretationsspielraum wird von den Menschen ganz unterschiedlich ausgenutzt. Also ist beispielsweise ein Leben «streng nach der Bibel» gar nicht möglich, da immer eine Interpretation stattfindet. Hier kommen dann die Funktionäre der jeweiligen Religionen ins Spiel. Sie verklickern ihren Schäfchen die Message so, wie sie selbst sie verstanden haben wollen. Und da liegt bestimmt auch die grösste Gefahr. Die Überbringer der Botschaft können diese nach Gutdünken so drehen, dass sie ihnen passt. Die gläubige Masse lässt sich instrumentalisieren, tut Dinge so, wie es der Pfarrer oder Imam oder wasauchimmer befiehlt.

In Diskussionen erlebe ich auch häufig, dass mir gesagt wird, wie viel Schönes und Gutes nur dank Gott oder der Religion entstanden sei. Einverstanden, es gibt wirklich grossartige Sakralbauten. Ich denke an den Felsendom, die Blaue Moschee, die Hagia Sophia, die gotische Kathedrale von Barcelona, den Duomo von Firenze oder Mailand. Aber müsste man nicht auch an die wie Verbrauchsmaterial verschlissenen Menschen während der Bauzeit dieser grossen Häuser denken? Und abgesehen von den tollen Gebäuden… waren da nicht auch ein paar blutige Kriege, brutale Kreuzzüge und kulturvernichtende Missionierungsmassnahmen? Hat man sich nicht auch beispielsweise innerhalb des Christentums buchstäblich bis aufs Blut bekämpft? Und dies, obwohl man doch dem gleichen Gott huldigte. Ich würde sagen, auf dem Planeten Erde würde es uns heute nicht schlechter gehen, hätten wir nie damit begonnen, an eine nicht existierende Macht zu glauben.

Viele Menschen würden aber so viel Kraft aus ihrem Glauben zu Gott schöpfen. Das mag sogar sein. Aber es rechtfertigt doch nicht das ganze Brimborium, das darum herum veranstaltet wird. Ausserdem braucht es keinen Gott, um aus einem Glauben heraus positive Kräfte zu mobilisieren Da taugt auch mein Lamborghini-V12 zu, oder eine Fussballmannschaft oder ein Berg. Für mich ist Mickey Mouse so real wie jeder Gott. Nämlich gar nicht. Also könnte ich auch an die kleine Maus von Disney glauben, es würde für mich genau nichts ändern.

Dann ist da natürlich noch die Sache mit dem Beten. In Zeiten von Social Media ist nach Terroranschlägen jeweils «PrayForIrgendeineStadt» zu lesen. Dass gerade der Glauben vielerorts dafür verantwortlich ist, dass man im Nachhinein überhaupt beten «muss», spielt da anscheinend keine Rolle. Man denke z.B. an den christlich motivierten Terroranschlag an den Olympischen Spielen 1996 in Atlanta. Damals hatten wir noch kein Facebook, um «Pray for Atlanta» reinzuschreiben.  Es hätte aber damals so wenig gebracht wie heute. Es bringt auch nichts, nun mit Hass, Angst und Panik zu reagieren. Was wir brauchen, hat der damalige Premierminister Norwegens nach dem Attentat auf der Insel Utoya für die Ewigkeit formuliert:

The Norwegian response to violence is more democracy, more openness and greater political participation.

Der Glaube, das Beten, die Religion kommen nicht vor. Wir schaffen es gut ohne das eingebildete Zeug, aber nur mit grossem Willen, unsere Werte nicht durch die Einschränkung der Freiheiten abzuschaffen. Ich erinnere an dieser Stelle auch gerne daran, dass die Werte, die Europa und alle industrialisierten Nationen dieser Welt gross gemacht haben, solche sind, die aus der Zeit der Aufklärung stammen. In der Regel kollidieren sie eher mit religiösen Leitlinien als dass sie in jenen begründet wären.


In diesen Tagen wird versucht, uns einzureden, der Islam führe einen Krieg gegen das Christentum. Mit Christentum ist jeweils die westliche Welt gemeint. Das ist nicht nur deshalb falsch, weil die allermeisten Terrortoten Muslime sind. Es ist vor allem deshalb falsch, weil es «den Islam» so wenig als homogene Gruppe gibt wie «das Christentum». Bei den Christen gibt es jede Menge wahnsinniger Extremisten, die sich vor allem in den USA finden. Trotzdem würden wir nicht sagen, die Christen führen einen Krieg gegen uns. Denn hier wird jeweils sehr genau unterschieden. Wenn dann etwas passiert, war es ein verwirrter, wahnsinniger, Killerspiele zockender Einzeltäter, während bei den Muslimen einfach mal alle unter Generalverdacht stehen. Dabei ist es relativ einfach: Extremisten sind gefährlich, egal welcher Religion sie zugehörig sind. Ausser natürlich jene, die extrem an den Lamborghini-V12 glauben. 😉

Gerade gestern hat Knackeboul seinem Ärger über die aktuelle Situation Luft gemacht und unter anderem das gesagt:

und nein, eine aufgeklärte gesellschaft muss eure religiösen gefühle nicht respektieren. weder muslimische, noch christliche noch die der anhänger des allmächtigen spaghetti-monsters.

Ich bin einverstanden. Zu lange haben wir gegenüber diesen intoleranten Vereinen Toleranz geübt. Wie lange hat die katholische Kirche gebraucht, um irgendwann doch zuzugeben, dass die Erde rund ist? Noch heute [der verlinkte Artikel hat leider kein Datum] hätten manche Exponenten gerne «intelligent Design» in unseren Schulen. Also eine Entstehungsgeschichte unserer Welt, die von einem Schöpfungsakt ausgeht… Dabei bräuchten wir eine noch klarere Trennung von Staat und Kirche. Auf jeden Fall im Bereich Bildung, aber auch in anderen. So gibt es keinen triftigen Grund, weshalb einzelne Kirchen in der Schweiz noch immer das Privileg geniessen sollten, dass der Staat für sie die Steuern einzieht.

Das führt uns fast unweigerlich zum Beginn der Präambel in der Schweizer Bundesverfassung:

Im Namen Gottes des Allmächtigen!
Das Schweizervolk und die Kantone, in der Verantwortung gegenüber der Schöpfung,

Warum sollte dort nicht stehen «Im Namen aller Menschen, die in der Schweiz leben»? Der Begriff «Schöpfung» wäre durch «Umwelt» oder einen ähnlichen Terminus zu ersetzen. Es ist grossartig, wozu der Mensch imstande ist. Man sollte ruhig auch einmal darauf stolz sein. Es braucht keine eingebildete Macht, der wir alle möglichen Taten zuschreiben. Inzwischen sind wir auch fähig, einen Grossteil unserer Welt zu erklären. Es wird künftig immer weniger Unbekanntes geben, was wir primär dem Wissendurst von uns Menschen zu verdanken haben.

An irgendetwas muss man doch glauben. Warum nicht einfach an uns Menschen?

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