Schweizer vs. Eidgenosse

Die NZZ ist auf etwas aufmerksam geworden, das sich in den letzten Jahren vermehrt durchgesetzt hat: Die Unterscheidung zwischen «Eidgenossen» und «Schweizern». In einem Aufruf an die Leser fragt die wichtigste Zeitung der Schweiz (oder der Eidgenossenschaft?), ob diese Unterscheidung bekannt sei. Andere Fragen an die Leser in diesem Zusammenhang sind folgende (Aufzählung durch mich eingefügt):

(a) Haben Sie entsprechende Erfahrungen oder Beobachtungen gemacht? (b) Wird mit dieser Unterscheidung die Einbürgerung auf- oder abgewertet? Ist die Unterscheidung diskriminierend? (c) Ab wann ist jemand Schweizer? (d) Was verbinden Sie mit dem Begriff «Eidgenosse»?

Also der Reihe nach.

(a) Natürlich habe ich schon Erfahrungen diesbezüglich gemacht. Wenn es in politischen Diskussionen etwas hoch zu und her geht, heisst es schnell einmal, der oder die Betreffende sei eben kein Eidgenosse. Nur ein Schweizer, und das werde man ja heute leicht.

(b) Damit ist auch schon die nachfolgende Frage beantwortet. Selbstverständlich ist die Unterscheidung genau dazu gemacht, die Eingebürgerten und ihren Status abzuwerten. Sie sind halt nur Schweizer zweiter Klasse.

(c) Schweizer ist jeder, der den Schweizer Pass hat. So ist das.

(d) Der Begriff «Eidgenosse» hat für mich etwas historisches, schliesslich ist aus dem Eid, der 1291 geschworen wurde, allmählich das Land entstanden, das wir heute Schweiz nennen. Da die Schweiz auch heute noch manchmal Eidgenossenschaft genannt wird, ist offensichtlich jeder Schweizer auch Eidgenosse.

Das also mal zu den Fragen der NZZ. Wenn ich schon dran bin, möchte ich aber gleich noch ein paar Dinge mehr loswerden. Das beginnt beim Begriff der Schweiz und ihrem Ursprung. Natürlich ist sie aus dem Bund der Kantone Uri, Schwyz und Unterwalden hervorgegangen. Die heutige Schweiz mit ihren Werten, die so gerne verteidigt werden, besteht aber aus meiner Sicht seit 1848. Wir sind also ein verhältnismässig junger Staat, der damals das Glück hatte, eine schlaue Verfassung zu «bekommen».

Wenn ich wie letzte Woche ein Auto sehe, das auf dem hinteren Stossfänger einen Aufkleber mit dem Schriftzug «Ich bin ein Eidgenosse» trägt, frage ich mich schon, was der Fahrer mir damit sagen will. War er 1291 dabei? Oder kann er mindestens einen 15 Generationen zurückreichenden Stammbaum vorweisen, der seine Herkunft einwandfrei bestätigt? Hat er wie die Leute damals vor allem Angst vor den Fremden? Was genau unterscheidet ihn von den «Schweizern», abgesehen von dem Glauben, dass es überhaupt einen Unterschied gibt? Glaubt er, gegenüber den «Schweizern» Privilegien zu haben? Und was wäre ich wohl für ihn?

Das «Grundproblem» hinter dem Zweiklassendenken ist offensichtlich: Schweizer, die sich selbst explizit als «Eidgenossen» bezeichnen, begreifen nicht, dass es halt einfach Zufall war, dass sie gerade hier geboren wurden. Es ist nicht so, dass man von Geburt an besser oder schlechter ist, man ist einfach mal ein Mensch. Wird der betreffende Mensch beispielsweise in den USA geboren, ist er US-Amerikaner. Hat er dadurch schon sämtliche Werte der USA intus? Singt er nach zwei Wochen schon den Star-Spangled Banner aus voller Kehle? Wohl kaum. Wer hier geboren wurde und Schweizer ist, weil es seine Eltern eben auch waren, hat noch nichts dafür getan. Er ist nicht besser und nicht schlechter als Nicht-Schweizer. Er hat auch keinen Grund, darauf stolz zu sein, dass er Schweizer ist, denn das war schlicht Zufall.

Natürlich kann man die Unterscheidung zwischen «Eidgenossen» und «Schweizern» verharmlosen und sagen, dass die betreffenden Leute eben Patrioten seien. Doch dahinter steckt mehr. Dahinter steckt eine Angst, die allem Fremden misstraut. Die Angst wandelt sich schnell in Hass, wenn erste negative Erlebnisse hinzukommen. Und wenn man die Sache weiterspinnt, ist man schnell an jenem Punkt, wo man die «Schweizer» gut sichtbar mit einem Stempel markiert…

Zu weit gedacht? Hoffentlich.

7 Antworten auf „Schweizer vs. Eidgenosse“

  1. Wenn ich wie letzte Woche ein Auto sehe, das auf dem hinteren Stossfänger einen Aufkleber mit dem Schriftzug “Ich bin ein Eidgenosse” trägt, frage ich mich schon, was der Fahrer mir damit sagen will. War er 1291 dabei? Oder kann er mindestens einen 15 Generationen zurückreichenden Stammbaum vorweisen, der seine Herkunft einwandfrei bestätigt?

    Als originaler Nidwaldner kann ich da natürlich voll mitmachen, inklusive Stammbaum und allem. Eidgenössischer als ich kann man heutzutage gar nicht mehr sein. Wo bekomme ich meinen Kleber? Und darf ich jetzt auf alle Autos pinkeln, die zwar einen Kleber haben, aber keinen entsprechenden Stammbaum im Heckfenster ausstellen?

    (Verdammte Poser. Bevor sie sich eine neue Ingroup ausdenken, sollen die sich mal überlegen, ob sie selber überhaupt dazugehören!)

  2. Interessante Denkanstösse! Bin froh, dass ich «zufällig» hier geboren wurde und unterscheide nicht nach Herkunft. Die Gegenwart zählt und sollte darauf ausgerechtet sein, dass wir ALLE auch in Zukunft gut und gern hier leben können. Dazu brauchts entsprechendes Engagement von allen EinwohnerInnen -unabhängig ihrer ursprünglichen Herkunft. Mit oder ohne Schweizer Pass.

  3. Ich habe mich einfach gefragt, was die NZZ mit dem Lostreten dieser doch eher sinnfreien Debatte bezweckt hat. Solchen Hors-sol-Journalismus findet man doch sonst eher beim Tagi: Zuerst Kommentare provozieren und dann einen Artikel darüber schreiben (diesen zweiten Artikel über die Debatte gibt es inzwischen).
    Aber vielleicht ist das Thema und der Begriff «Eidgenoss» in der Zentralschweiz virulenter als hier in Zürich?

  4. Virulent. Dass ich dieses Wort mal auf meinem Blog würde lesen dürfen. Merci dafür.

    Ich glaube tatsächlich, dass man in Zürich etwas weniger von solchem Mist mitbekommt. Sonst hätte es die NZZ ja auch nicht als eine Art Neuigkeit verkauft. Hier auf dem Lande ist das (leider) ziemlich gängiges Vokabular.

    1. Bitte, gerne.
      In der zweiten Fassung hätte ich es vermutlich weggelassen und durch ein gut-eidgenössisches Wort ersetzt. 😉

      Ich habe mich auch mehr über die Art und Weise geärgert, wie die NZZ das Thema gebracht hat. Von der NZZ erwarte ich Recherche und nicht Berichte über selbst produzierte Debatten (deren Inhalt vorauszusehen war, ob man nun «Eidgenoss» oder «Schweizer ohne Migrationshintergrund» sagt). Immerhin kennt man den Begriff nun auch in Zürich; der Aufkleber-Hersteller wird es der NZZ danken.

      Am besten wäre sowieso, es würden sich alle einen Eidgenoss-Kleber aufs Auto kleben, ob man nun beim Rütli-Schwur dabei war oder nicht, dann erledigte sich die Diskussion gleich von selbst.

  5. Man kann sich nicht gegen den allgemeinen Sprachgebrauch wehren. Diese Bedeutung des Wortes «Eidgenosse» wird wohl einstweilen bleiben, und ich werde das Un-Wort nie mehr in den Mund nehmen. Ich verlange eine neue Bezeichnung für Leute wie mich, die wir unsere Abstammung auf mehreren Linien bis ins fünfzehnte Jahrhundert zurückverfolgen können, ohne jegliche fremde Einheirat, und die wir nicht stolz darauf sind, denn es macht und weder besser noch anders, sondern es ist lediglich eine Folge der Tatsache, dass unsere Vorfahren eher Aus- denn Einwanderer waren. Nennt uns meinetwegen Altschweizer. Wenn «Eidgenosse» jetzt Neonazi heißt, so will ich keiner mehr sein. Es ist anzunehmen das meine Vorfahren in der Schlacht bei Sempach gekämpft haben, mich muss niemand lehren was ein Eidgenosse ist. Heil dir Helvetia! — Ich hab’s. Wir aufgeschlossenen, modernen schweizer Schweizer nennen uns ab sofort «Helvetier». Nach einem keltischen Stamm der hier vor zweitausend Jahren etwas Migration machte.

  6. Das ist jetzt vielleicht eine blöde Frage, aber weshalb willst Du überhaupt einen speziellen Begriff für Schweizer mit Wurzeln, die weit in die Geschichte des Landes zurückreichen?

    Niemand sagt, dass ein «Eidgenosse» automatisch ein Neonazi ist. Tatsache ist nur, dass man sich im rechten Milieu mit Vorliebe selbst als Eidgenosse bezeichnet.

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