normalerweise kopiere ich hier keine artikel in voller länge hinein. für den heute in der nzz am sonntag erschienen kommentar von franz riklin «muss» ich eine ausnahme machen. der text müsste eigentlich pflichtlektüre für alle schweizer sein. denn aktuell sinkt bekanntlich die zufriedenheit und steigt die angst. gute zeite für populisten, die mit dem benennen eines sündenbocks stets die einfache lösung parat haben. wobei lösung an dieser stelle natürlich etwas zu viel gesagt ist. aber jetzt lest den text von franz riklin:
Hohe Strafen haben keinen Einfluss auf die Kriminalität
Die Kriminalität in der Schweiz gleiche sich dem europäschen Niveau an, besagt eine neue Studie. Das stimmt so nicht, denn Opferbefragungen haben ihre Tücken, schreibt Franz Riklin
Professor Martin Killias hat diese Woche eine Opferbefragungs- Studie für die Jahre 2006 bis 2011 veröfentlicht. Danach sei die Zahl der Einbrüche, Gewalttaten und Drohungen deutlich gestiegen. Die Schweiz stehe nicht mehr besser da als die andern europäischen Länder. Das verwundert einerseits nicht. Die Schweiz ist keine Insel. Man kann sich nicht der Freizügigkeit des Personen- und Warenverkehrs öffnen, ohne sich auch in der Kriminalitätsentwicklung den Nachbarstaaten anzupassen. Störend ist, dass die Studie tut, als ob dies zum ersten Mal bewiesen werde.
Andererseits gibt es andere Kriminalitätsregistrierungs-Systeme als Opferbefragungen, namentlich Polizeistatistiken, bei denen auch heute noch verschiedene Indizien für eine günstige Position der Schweiz im Kriminalitätsbereich sprechen. Danach sind die Kriminalitätsraten in den vergangenen Jahren gesunken. Was die schwerere Kriminalität betrifft, die im Zentrum der Ängste der Bevölkerung steht, zeigen die wichtigsten Trends folgendes Bild: Bei Tötungsdelikten kann von einer völligen Stabilität der Fallzahlen seit 1990 gesprochen werden. Tötungsdelikte mit Schuss- und Stichwaffen haben stets abgenommen. Im europäischen Vergleich liegen Tiefstwerte vor.
Im Bereich der Körperverletzungen ist es wohl seit den 1990er Jahren zu einer Verdoppelung der Fallzahlen gekommen, wobei die Hinaufstufung der häuslichen Gewalt zum Offizialdelikt im Jahr 2004 für den grössten Anstieg sorgte. Gleichzeitig ist die Verwendung von Schuss- und Stichwaffen extrem gering und deren Anteil kontinuierlich zurückgegangen.
Bei Vergewaltigungen sind die Fallzahlen ab 2000 gestiegen; hier dürfte der Anstieg insbesondere auf die bessere Verteidigung von Opfern und die Strafverfolgbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe – seit 2004 – zuruückzuführen sein.
Bei den Raubüberfällen sind die Fallzahlen zwischen 1990 und heute zwar gestiegen, doch ist die Zahl der mit Schuss- und Stichwaffen durchgeführten Taten seit Mitte der 1990er Jahre bis gegen Ende des letzten Jahrzehnts stark zurückgegangen.
Bei den Gesamtzahlen zum Diebstahl – einschliesslich Einbruch – kann seit 2004 eine deutliche Baisse um nahezu 25 Prozent festgestellt werden. Bei Einbrüchen gingen die Fallzahlen nach den Spitzenjahren 1997 und 1998 mit 80 000 Einbüchen bis 2009 und 2010 auf rund 50 000 in den Jahren 2009 und 2010 zurück.
Opferbefragungs-Statistiken sind zwar sinnvoll, aber weder alleinseligmachend, noch mangelt es ihnen an Tücken. Die grössten Nachteile der schweizerischen Opferbefragungen sind deren kleine Stichproben und die Monopolisierung ihrer Bearbeitung und Interpretation in einer Person. Schwächen bestehen auch darin, dass, ausgehend von einigen speziellen Delikt-Bezeichnungen, zu denen Personen befragt werden, auf den ganzen Umfang des Kriminalitäsgeschehens geschlossen wird. Auch liegen bei der neuesten Studie keine aktuellen vergleichbaren ausländischen Statistiken vor. Die internationalen Vergleiche müssen sich deshalb auf frühere Befragungen der Jahre 1995 bis 2004 beschränken, obwohl auch in den erfassten Ländern seither eine Kriminalitätsentwicklung stattgefunden hat. Bei den Gewaltdelikten werden zudem breite Bereiche nicht erfasst.
Bedauerlich sind die von Killias geäusserten kriminalpolitischen Folgerungen. Zwar anerkennt auch er «ausserrechtliche» Kriminalitätsfaktoren wie verändertes Freizeitverhalten und die grosse Handy-Verbreitung. Er fordert dann aber mehr Strafhärte und rügt die angeblich zu milden Gesetze, die internationale Banden anlockten.
Wenn dem so wäre, mü;sste unsere Kriminalitätsrate jene anderer Länder klar übersteigen. Zudem giesst er damit Wasser auf die Mühlen aller Protagonisten des Aberglaubens, schärfere Strafen führten zu weniger Kriminalität. Realitätsfremd ist die Behauptung, diese Milde sei nicht den Staatsanwälten, sondern dem Gesetzgeber zuzuschreiben.
Das Gegenteil ist richtig. Bei über 95 Prozent aller Urteile bestimmen Staatsanwälte via nicht angefochtene Strafbefehle das Strafmass, und dieses bewegt sich bei Verbrechen und Vergehen meist im untern und untersten Bereich des Strafrahmens, weil sie offensichtlich die verhängten Strafen als angemessen betrachten. Es besteht somit weder ein Grund zur Erhöhung der Strafrahmen noch zur Verhängung von mehr und längeren Freiheitsstrafen, weil die Kriminalität von vielen andern Faktoren als der drohenden Strafschwere beeinflusst wird.
Sonst müssten die USA mit einer im Vergleich zur Schweiz neunmal höheren Gefangenen-Rate als Folge viel längerer Strafen ein wahres Paradies sein. Stattdessen ist dort die Kriminalität höher. Viele renommierte Kriminologen sind sich denn auch darin einig, dass ein funktionierendes Strafjustizsystem wichtig ist, während zumindest im unteren Deliktsbereich die verschiedenen Sanktionen austauschbar sind, das heisst weitgehend gleiche Erfolgschancen haben.
Härteres Dreinschlagen mit Freiheitsstrafen führt nur zu mehr Staatsausgaben, ohne präventiven Effekt.
Bestandesaufnahme
>Sonst müssten die USA mit einer im Vergleich zur Schweiz neunmal höheren Gefangenen-Rate als Folge viel längerer Strafen ein wahres Paradies sein. Stattdessen ist dort die Kriminalität höher.
Was nichts beweist, weil die Mentalität und Armut dort wohl eine andere ist als hier.
Oder: Der Anteil an Armen ist in den USA wahrscheinlich grösser, und die Mentalität schwärzer …
Es ist ja gut und schön, wenn man ab und zu den Stand der Entwicklung liest.
Komischerweise ist aber das Bild der schweren Taten immer das Gleiche:
– – Yugo sticht zu …usw
– Mord im Hafturlaub
– Rückfall eines «geheilt» Geglaubten…
usa vs. schweiz
>>Sonst müssten die USA mit einer im Vergleich zur Schweiz neunmal höheren Gefangenen-Rate als Folge viel längerer Strafen ein wahres Paradies sein. Stattdessen ist dort die Kriminalität höher.
>Was nichts beweist, weil die Mentalität und Armut dort wohl eine andere ist als hier.
Oder: Der Anteil an Armen ist in den USA wahrscheinlich grösser, und die Mentalität schwärzer …
aha, also hat der wohlstand einen einfluss auf die kriminalität? und wir lernen: schweizer sind super, us-amerikaner etwas weniger, albaner noch weniger und schwarze us-amerikaner sind die schlimmsten.
das bild ist immer das gleiche? warum wird dann ständig gesagt, es werde alles viel schlimmer?
das Bild (Qualität)
ist nicht die Menge (Quantität).
>aha, also hat der wohlstand einen einfluss auf die kriminalität?
>albaner noch weniger und schwarze us-amerikaner sind die schlimmsten
Ja, was denn sonst?
falls du was anderes zu lesen bekommst, dann sag mir, wo.
>warum wird dann ständig gesagt, es werde alles viel schlimmer?
das sagt die SVP ….. es ist Wahlkampf!
Anders rum: je mehr Wähler die SVP hat, desto schlimmer die Verbrechen 🙂
ok
Du gibst also zu, dass es nicht schlimmer wird. somit brauchen wir also auch keine strengeren strafen. so weit so gut.
genau
>Du gibst also zu, dass es nicht schlimmer wird.
Hab ich so auch nie gesagt. Jedoch: Je mehr bildungsferne Ausländer, ums mehr Kriminalität.
>somit brauchen wir also auch keine strengeren strafen.
Hab ich so auch nie gesagt. Jedoch: Strafrecht so weit wie möglich ausschöpfen, sowie ausschaffen, was möglich ist.
Yugo
> Yugo sticht zu
Verdammt, jetzt werden schon die Autos kriminell.
Dass höhere Strafen keinen relevanten negativen Einfluss auf die Kriminalität haben, wurde übrigens durch viele verschiedene Experimente und Erhebungen gezeigt, und ist heute unbestritten. Dass Politiker immer noch höhere Strafen fordern, zeigt lediglich, wie dämlich und absurd unser politisches System ist (und wie dumm und/oder verblendet viele unserer politischen Vertreter sind).
Siehe auch: Politiker, die Steuersenkungen fordern, um damit die Wirtschaft anzukurbeln.
Gewisse Politiker weisen eine erstaunlich hohe Immunität gegen Fakten auf.
so ist es …
>Gewisse Politiker weisen eine erstaunlich hohe Immunität gegen Fakten auf.
Das erklärt sich ganz einfach: Der Politiker will ja nicht hauptsächlich Probleme lösen (das würde ja in Arbeit oder unpopuläre Massnahmen ausarten), sondern so dastehen, als würde er etwas von der Sache verstehen.
– Härtere Strafen: das wird immer als Wahlschlager ausgeschlachtet, und weil dies halt niemand anpackt, kann das Nichtresultat den linken in die Schuhe geschoben werden.
– Steuersenkungen: das wird auch als Wahlschlager ausgeschlachtet, und weil dies auf Widerstände stösst, kann das auch den linken in die Schuhe geschoben werden.
Dabei wird immer betont, dass Steuersenkungen dem Mittelstand was bringt…
Falls trotzdem aus Gutgläubigkeit (Unternehmenssteuerreform) ein Ausrutscher passiert, wissen wir ja, wem es nützt.