wer die italienische nationalmannschaft kennt weiss, alle spieler sind weiss. oder höchstens etwas bräunlich. einen dunkelhäutigen spieler hat man noch nie gesehen im blauen dress unserer südlichen nachbarn. nun gibt es einen, der sich seine nomination verdienen würde: mario balotelli. der artikel von oliver meiler im heutigen tagesanzeiger befasst sich mit ihm:
Ein Mario, sozusagen
Oliver Meiler, Marseille
Sie haben schon Bananen nach Mario Balotelli geworfen. Wann immer er den Ball berührt, und das tut der Teenager mal elegant und mal unter Einsatz seiner ganzen imposanten Körperkraft, meistens jedenfalls mit bestaunenswertem Können, dann steigt aus den Kurven in Turin, in Rom und in Bergamo der dumpfe Chor der Rassisten: «Uuh, uuh, uuh!» Oder: «Es gibt keine italienischen Neger.»
Ein historischer Slogan, abgeschaut im Rassenmanifest der Faschisten. Mario Balotelli, 19, geboren in Palermo, ist der Sohn von Einwanderern aus Ghana, die ihr Kind mit zwei Jahren in einem Krankenhaus in Brescia abgaben. Für immer. Mario wuchs bei den Balotellis auf, seiner neuen Familie, nahm deren Namen an. Alles sehr italienisch, im Nebel Brescias. Er sagt: «Ich bin Italiener, ich fühle mich wie ein Italiener.»
Die Ultras hören das nicht gerne. Keine Disziplinarstrafe, keine Drohung des Verbands und der Politik bringt sie von ihrem Gegröle gegen «Super Mario» ab, wie ihn die Sportpresse nennt. In den meisten Fällen bleibt es bei den Drohungen. Sie haben nicht viel zu befürchten. Und sie wollen verhindern, dass der Mittelstürmer in Diensten von Inter Mailand, einer der besten Spieler seiner Generation mit Angeboten aus Barcelona, Liverpool und London, in die italienische Nationalmannschaft aufgenommen wird. Für das nationale Nachwuchsteam hat er schon oft gespielt. Für die Azzurri aber, die amtierenden Weltmeister, noch nie.
Nun appellierte am Montag der «Corriere della Sera», Italiens grösste Zeitung, in einem Kommentar auf der ersten Seite an den Nationaltrainer, er möge Mario Balotelli in die erste Mannschaft aufnehmen, mitnehmen an die Weltmeisterschaften in Südafrika: «Das ist die beste Antwort auf die Chöre aus den Kurven», schreibt die Zeitung, «die Nationalmannschaft ist der Spiegel Italiens.» Mal sehen, was stärker ist: der Mut des Trainers oder die Pfiffe der Ultras.
Der «Corrier» stellt es wie einen Akt der Zivilcourage dar, was natürlich grotesk anmutet. Die italienische Gesellschaft ist längst viel multikultureller, als es die Idioten in den Kurven und die fremdenfeindliche Lega Nord wahrhaben wollen. Das frühere Emigrations- ist zum Immigrationsland mutiert. Und es hat noch viel Mühe damit – gerade im Fussball. Balotelli ist nur das prominenteste Beispiel. Ausgepfiffen werden alle Spieler mit dunkler Hautfarbe.
Doch Balotelli reagiert. Mit Trotz, mit arrogantem Gehabe auf dem Platz, mit Selbstschutz. Balotelli hält sich auch schon mal den Zeigefinger auf die Lippen im Torjubel und schaut herausfordernd, den Kopf wippend, hinauf zu den Rängen. Als wollte er sagen: «Seht her, eure Pfiffe kümmern mich nicht, ich zeigs euch allen!»
Das sollte er natürlich nicht tun, weil die Ultras dann noch lauter grölen. Aber wer kann es ihm verdenken? Er legt sich auch oft mit dem Schiedsrichter an, als würde der junge Mann ihm vorwerfen, dass er ihn nicht besser schütze. Er wurde dafür auch schon vom Platz gestellt. Sein Trainer bei Inter, der Portugiese José Mourinho, hält Balotelli zwar für ein grosses Talent, rät ihm aber zu mehr Fassung und Haltung. Auch der «Corriere» kann sich einige schulmeisterliche Bemerkungen zu Balotelli nicht verkneifen: «Er fährt mit seinem Auto 240 Stundenkilometer schnell und brüstet sich damit. Er führt sich auf wie ein Grossmaul.»
Nun ist es ja nicht so, dass er sich als Aufschneider sonderlich unterscheiden würde von anderen Marios seines Alters, zumal nicht im beruflichen Milieu, in dem er gerade versucht, gross und erfolgreich zu werden. Mario Balotelli sind unter den Pfiffen aber mildernde Umstände einzuräumen – und ein Platz im Nationalteam.