debora amacker – rassismus in der schweiz

vor langer zeit angekündigt, kann ich nun das erste interview der geplanten reihe «rassismus in der schweiz» veröffentlichen. besten dank an debora, die sich mir als erstes «versuchskaninchen» zur verfügung gestellt hat. ich hoffe mal, dass noch ein paar weitere betroffene ihrem beispiel folgen werden. ideen für weitere interviewfragen oder andere anregungen sind sehr willkommen. wie das kommentieren funktioniert, wisst ihr ja.

debora amacker kam in jegenstof (be) zur welt. sie ist das kind einer schweizerin und eines angolaners. sie hat vier geschwister mütterlicherseits, auf der seite des vaters weiss sie von mindestens zwei geschwistern. sie arbeitet als public relations assistant bei ford schweiz.

wie reagierst Du, wenn jemand sagt, in der schweiz gäbe es keinen rassimus?
grundsätzlich diskutiere ich mit leuten, die so eine meinung vertreten gar nicht. höchstens der spruch «dann lasse ich dich doch in deinen illusionen» kommt mir dann über die lippen. wenn es sich doch lohnen sollte, also mit leuten, die sich ernsthaft damit auseinandersetzen wollen, artet es meist in stundenlange diskussionen aus. rassismus gibt es, vielleicht nicht mehr in klassischer ausprägung, aber er ist auf jeden fall da. wer das nicht sieht, geht mit geschlossenen augen durchs leben.

fühlst Du Dich gleichberechtigt und gleichbehandelt?
gleichbehandelt fühle ich mich bestimmt nicht wirklich. man könnte sagen, dass es mich gleich in zweierlei hinsicht trifft: einerseits wegen der hautfarbe, anderseits wegen der konstellation hautfarbe und frau. gleichberechtigt fühle ich mich als frau schon einmal nicht. als schwarze frau sowieso nicht. denn schwarze frauen werden sowohl unter schwarzen, als auch unter weissen oft bloss als ware gesehen. natürlich ist das etwas überspitzt formuliert. aber dennoch gilt bei vielen die überzeugung, dass gerade schwarze frauen zu tun haben, was der mann sagt. fürs bett sind sie dann gerade gut genug. da hat wohl die geschichte ein gewisses klischee kreiert.

wenn ich tatsächlich gleichberechtigt behandelt werden will, muss ich mir das immer zuerst erarbeiten. denn im büro bin ich beispielsweise auf jeden fall gleichberechtigt mit anderen mitarbeitern. in einer gewissen weise musste mich aber zuerst beweisen, um akzeptiert zu werden. anfangs wurde ich von einer arbeitskollegin nicht einmal gegrüsst, heute gehen wir oft gemeinsam mittagessen. als ich sie einmal nach dem grund für dieses anfängliche schweigen fragte, entgegnete sie, dass es einfach wegen der hautfarbe gewesen sei. sie würde bei «solchen» leuten immer erst auf abstand gehen. obwohl dies nicht gerade nette worte waren, war es dennoch eine ehrliche antwort, die ich sehr schätzte.

wann immer ich jemanden kennenlerne erlebe ich grosse skepsis mir gegenüber. um mich keinen vorurteilen stellen zu müssen, isthäufig sozusagen ein guter leumund nötig. wenn ich beispielsweise von meinem chef als seine assistentin vorgestellt werde, hat nie jemand ein problem mit mir. wann immer ich jedeoch jemanden nur als «debora» gegenüber stehe und neue kennenlerne, erlebe ich grosse skepsis meine person betreffend.


debora amacker

wie alt warst Du, als Du merktest, dass Du anders bist?
das kann ich nicht ganz genau sagen, denn das war sehr früh. mit fünf, sechs vielleicht. ich bin auf einem schweizer bauernhof aufgewachsen. den landwirtschaftlichen betrieb führten zwar die nachbarn, doch wir halfen oft mit, denn der nachbarschaftliche zusammenhalt war gross. denn mein leiblicher vater war nie da. insofern kannte ich auch nur die schweizer kultur. ich wusste nicht eimal, dass es da noch eine andere kultur gab, die mich hätte interessieren sollen. als baby war ich natürlich das herzige dunkelhäutige mädchen. erst kurz vor oder im kindergarten tauchten die ersten probleme auf. ich weiss nicht mehr genau, was damals passiert ist. aber ich weiss, dass ich danach zuhause vor dem spiegel stand und mich betrachtete. da realisierte ich, hey, ich sehe ja anders aus als die anderen in der familie. das hat allerdings nichts mit rassismus zu tun, was ich damals erlebte. Ich habe mich damals vielmehr zum ersten mal bewusst selbst betrachtet.

erst später in der schule fing es mit eindeutigen sprüchen an. auf dem schulweg wurde ich beinahe täglich zusammengeschlagen. wenn ich nach dem grund fragte lautete die antwort nur: Du bist halt ein nigger.

wie häufig erlebst Du rassistische übergriffe?
rassimus hat natürlich verschiedene gesichter. da gibt es direkte anfeindungen, verbaler, schriftlicher oder auch handgreiflicher art. dann erlebe ich auch die indirekte art, die auf ihre weise genauso verletzend ist. man wird im restaurant oder beim metzger einfach nicht bedient. oder als ich meine lehrstelle suchte: ich bekam auch absagen mit der begründung, es würden nur schweizer eingestellt. dabei habe ich den schweizer pass seit geburt, bin nicht mal doppelbürgerin. erleben tue ich zwar beide arten, aber die indirekte art ist fast noch verletzender. denn indirekten dingen steht man oft einfach ohnmächtig gegenüber. man spürt es, aber wirklich etwas dagegen machen kann man nicht.

wie reagierst Du auf verbale übergriffe?
auch das ist sehr situationsabhängig. heute kommt bestimmt zuerst der selbstschutz. schliesslich hat mich meine art, der ein gewisser gerechtigkeits- und verteidigungsdrang zu grunde liegt, oft genung in sehr unangenehme situationen gebracht. lieber einmal mehr schweigend leiden, aber dafür gesund nachhause gehen. bei ganz jungen leuten suche ich sicher eher das gespräch. ich frage sie, wie sie es finden würden, wenn sie in ähnlichem stil beleidigt würden. aber wie gesagt, heute versuche ich eher, solche situationen zu ignorieren. werde ich allerdings aufgrund meiner hautfarbe benachteiligt oder nicht bedient, wenn ich wirklich etwas brauche, wie beispielsweise eben beim metzger, mache ich den betreffenden darauf aufmerksam, und beginne selbstverständlich für mein recht zu kämpfen.

meidest Du bestimmte orte oder veranstaltungen?
ja. offizielle 1.-august-feiern sind für mich tabu. zu oft habe ich sprüche wie «schweiz den schweizern» und «ausländer raus» an solchen orten hören müssen. obwohl ich ja wie gesagt schweizerin bin und sogar unsere nationalhymne mitsingen kann – zumindest die erste strophe. ausserdem meide ich grosse veranstaltungen wie konzerte im hallenstadion oder die street parade. das vor allem weil ich an solchen orten schon wiederholt massiv auf primitivste weise angemacht, für käuflich gehalten und auch so behandelt wurde.

hast Du manchmal das gefühl, im bezug auf rassismus fast schon paranoid zu sein?
ja. gerade wenn ich auf jobsuche bin, habe ich grosse angst aufgrund meiner hautfarbe abgelehnt zu werden. deswegen sende ich nur ungern bewerbungen, bei denen ein foto beiliegen muss. da haben mich die erfahrungen bei der lehrstellensuche wohl doch stärker geprächt, als gedacht. ausserdem ist es bestimmt auch eher übertrieben, an gar keine dieser grosserveransaltungen zu gehen. und wenn ich dann hingehe, denke ich ständig, dass etwas passieren könnte und natürlich passiert dann eben auch etwas. «whatever can go wrong, will go wrong» – murphy’s law lässt grüssen! es gibt bestimmt einige situationen, in denen das gefühl primär selbstgemacht ist.

kann die hautfarbe auch vorteile haben?
ja. aber auch das ist für mich eine art indirekter rassismus. niemand sollte aufgrund seiner hautfarbe benachteiligt, oder eben auch bevorzugt werden. als ich beispielsweise beruflich in afrika war, hatte ich als dunkelhäutige grosse vorteile. ich bezahlte unter anderem für esswaren immer weniger als meine hellhäutigen kollegen. das ist genauso falsch wie der umgekehrte fall.

rassismus bedeutet ganz und gar nicht weiss gegen schwarz, schwarz gegen weiss etc. rassismus hat immer etwas mit herrschafts- und machtverhältnissen zu tun, mit einer klassifizierung – egal in welcher hinsicht. So gesehen ist auch jeder von uns davon betroffen.

was schlägst Du vor, um rassismus zu bekämpfen?
gegen rassismus kann man nur dann etwas machen, wenn sich die leute mehr gedanken über ihre vorurteile machen. warum denkt man bei einem schwarzen auf der strasse sofort an einen dealer? nur weil er schwarz ist? das reicht doch einfach nicht. jeder einzelne sollte versuchen, sich immer zuerst in die situation des anderen, des ausländers, des fremden hineinzuversetzen. ausserdem könnten auch die medien ihren beitrag leisten, indem sie über positiv auffallende ausländer berichten und nicht primär ihre fehltritte und verbrechen gross schreiben. jeder einzelne sollte versuchen, sich immer zuerst in die situation des ausländers oder des dunkelhäutigen menschen hineinzuversetzen. meiner meinung nach kann der staat zum jetztigen zeitpunkt gegen rassismus nicht viel tun. Man muss sogar zugeben, dass gerade der staat in den letzten jahrhunderten und jahrzenten in dieser hinsicht viel getan hat. gerade die schweiz ist fremdem gegenüber grundsätzlich positiv und offen eingestellt. für meinen geschmack manchmal sogar schon zu offen.

das ist zwar eine andere geschichte, aber trafficking ist bestimmt ein problem, bei dem der staat vermehrt mit massnahmen eingreifen sollte – das zum thema frauen und «ware». Was jedoch den rassismus betrifft, so ist es für mich ganz klar, dass es jetzt an uns ist, an jedem einzelnen, mit einem umdenken anzufangen. Nur so lässt sich rassismus bekämpfen.

3 Antworten auf „debora amacker – rassismus in der schweiz“

  1. die idee mit dieser interview-reihe finde ich sehr gut und das erste interview mit debora amacker habe ich interessiert gelesen. mich würde zudem die antwort auf folgende frage interessieren:

    warum denkst du reagiert man in der schweiz (oder reagieren schweizer) auf ausländer (oder auf personen, welche aufgrund von äusseren eindrücken wie die hautfarbe den eindruck eines ausländers erwecken können) skeptisch oder gar ablehnend?

    das wäre mein vorschlag für eine zusätzliche interview-frage. die fortführung dieser serie werde ich gespannt verfolgen.

  2. Ist schon unheimlich…
    …wie rassismus in einer an sich aufgeklärten gesellschaft leben kann. deboras bericht ist sehr eindrücklich – und bewegt mich, vorurteile laufend zu hinterfragen. mit vorurteilen zu leben ist einfach, es gibt auf jede frage eine antwort, einen schuldigen usw.
    persönliche erlebnisse lehren oft besseres als durch vorurteile bekannt. mein letztes vorurteil-abbau-erlebnis: ein autounfall in einem heruntergekommenen schwarzenviertel in den usa. nach dem crash glaubten wir, die herannahenden schwarzen wollten uns ausrauben. sie waren wie rapper gekleidet, und sahen aus wie gangstergestalten aus film und tv. die ersten worte: «man, are you hurt?» sie zeigten sich sehr hilfsbereit und besorgt um unsere gesundheit.
    trotz unfall an sich ein gutes erlebnis, um vor- durch selbsturteile zu ersetzen 🙂

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